Wenn aus Kompetenzen berufliche Chancen werden
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Thema
Anerkennung von informellem und non-formalem Lernen
Herausgeberschaft
Bertelsmann Stiftung
Autoren/Autorinnen
Claudia Gaylor/Nicolas Schöpf/Eckart Severing
Erscheinungsort
Gütersloh
Erscheinungsjahr
2015
Stiftungsengagement
Bertelsmann Stiftung
Literaturangabe
Claudia Gaylor/Nicolas Schöpf/Eckart Severing: Wenn aus Kompetenzen berufliche Chancen werden. Wie europäische Nachbarn informelles und non-formales Lernen anerkennen und nutzen. Gütersloh 2015.
Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise
Der Europäische Rat hat mit Beschluss vom 20. Dezember 2012 seine Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert, bis zum Jahr 2018 Zertifizierungsmöglichkeiten für non-formal und informell erworbene Kompetenzen zu schaffen. Von der Umsetzung dieser Vereinbarung ist Deutschland aber bisher noch weit entfernt.
In der Regel eröffnen in Deutschland nur formal erworbene Bildungszertifikate den Weg zu weiterführenden Bildungsgängen und qualifizierten Berufen. Zudem ist die Zertifizierung beruflicher Kompetenzen immer noch eng mit den tradierten Bildungsinstitutionen verbunden. Der starke Fokus auf formale Abschlüsse führt dazu, dass beruflich relevante Kompetenzen, die außerhalb des formalen Bildungssystems erlernt werden, nicht sichtbar und anerkannt sind.
Ausgangspunkt der Studie ist, dass im Rahmen lebenslangen Lernens aber immer mehr berufliche Kompetenzen nicht vor Berufseintritt, sondern kontinuierlich, arbeitsbegleitend und selbstorganisiert erworben werden, etwa im Job, in Weiterbildungen, in der ehrenamtlichen Vereinsarbeit oder bei der Ausübung von Hobbys. Auf diese Entwicklung haben europäische Nachbarländer schon reagiert, indem sie verschiedene Anerkennungs- und Zertifizierungssysteme für informell und non-formal erworbene berufliche Kompetenzen geschaffen haben.
Die Publikation ist im Rahmen des Projektes „Weiterbildung für Alle“ der Bertelsmann Stiftung entstanden und stellt eine Kurzfassung der Studie „Anerkennung non-formalen und informellen Lernens in Deutschland“ dar. Ein Schwerpunkt liegt auf der Darstellung von Good Practices aus dem Ausland, um daraus Anknüpfungspunkte und Transferempfehlungen für Deutschland abzuleiten.
Wichtige Ergebnisse
Kernaussage ist, dass Deutschland dringend ein bundesweit verbindliches Anerkennungssystem für non-formal oder informell erworbene berufliche Kompetenzen braucht. Dies sei nicht nur für die betroffenen Personengruppen wichtig, die dadurch ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt steigern können, sondern auch für die Unternehmen, die zunehmend auf diese Potenziale angewiesen sind. Um dem demografisch bedingten Fachkräftemangel begegnen zu können, müssten alle berufsrelevanten Kompetenzen der erwerbsfähigen Bevölkerung ausgeschöpft werden.
Zudem bilden Bildungszertifikate nur einen Teil der beruflich relevanten Kompetenzen ab. Von einer Anerkennung informellen Lernens könnten insbesondere formal Geringqualifizierte (ohne formalen Schul- oder Berufsabschluss), aber auch Geflüchtete sowie Migrantinnen und Migranten (Menschen mit im Ausland erworbenen Berufskompetenzen) profitieren. Dabei bedeutet „formal geringqualifiziert“ nicht, dass keine beruflich relevanten Qualifikationen oder Kompetenzen vorliegen. Diese können zum Beispiel auch durch mehrjährige Berufspraxis, informell oder non-formal erworben worden sein.
Es wäre wichtig, berufliche Kompetenzen durch geeignete Anerkennungsverfahren nutzbar zu machen. In Deutschland werden informell und non-formal erworbene berufliche Kompetenzen in der Regel nicht dokumentiert oder zertifiziert. Die wenigen Verfahren – wie der Europass – bilden keinen Standard und ergänzen meist nur die anerkannten Formalabschlüsse der Berufsbildung. Geeignete Anerkennungsverfahren würden ein großes Kompetenzpotenzial erschließen und könnten zudem die Arbeitslosigkeit formal Geringqualifizierter senken. Das Bildungssystem und der Arbeitsmarkt müssten künftig stärker für Menschen mit atypischen, unterschiedlichen Bildungs- oder Berufsverläufen zugänglich gemacht werden.
Deutschland könnte von den Anerkennungssystemen anderer europäischer Länder lernen. In einigen Ländern Europas gibt es bereits Verfahren, die zu Zertifikaten und Zugangsberechtigungen im Bildungssystem führen, die auf dem Arbeitsmarkt verwertbar sind.
In der Studie wurden Good Practices daraufhin untersucht, ob sie auf Deutschland übertragen werden können. Fünf Kernelemente eines Anerkennungssystems standen dabei im Mittelpunkt:
- Rechtliche Grundlagen können sicherstellen, dass die Ergebnisse von Anerkennungsverfahren informeller und non-formaler Kompetenzen verbindlich und verwertbar werden. In Frankreich besteht beispielsweise ein umfassender Rechtsanspruch auf Prüfung der Kompetenzen, die man im Rahmen einer mindestens dreijährigen beruflichen Tätigkeit erworben hat. Die Prüfung führt dann zu einer offiziellen Zertifizierung, die der Erstausbildung rechtlich gleichgestellt ist. In einem ersten Schritt könnte in Deutschland die Möglichkeit zur Prüfung der Qualität informell erworbener Kompetenzen rechtlich verankert werden.
- Ein Anerkennungssystem braucht effiziente Verfahren, die aussagekräftige Ergebnisse liefern. Dänemark hat ein zweistufiges Zertifizierungsverfahren mit Unterstützung eines Berufsbildungszentrums für Erwachsene etabliert, bei dem individuell nachgewiesene Kompetenzen in einem Zertifikat festgehalten und mit definierten Lernergebnissen von Bildungsgängen abgeglichen werden. Im nächsten Schritt kann dieses Zertifikat dann für die persönliche Planung weiterer Qualifizierung oder für den Eintritt in den Arbeitsmarkt genutzt werden. Dieses Stufenmodell könnte auf Deutschland übertragen werden, indem die bereits bestehenden Kompetenzpässe und beschäftigungsbezogene Teilqualifikationen verknüpft werden.
- In Europa gibt es staatliche, betriebliche und private Finanzierungsformen sowie diverse Mischformen. Die Tradition kostenfreier Bildung in anderen europäischen Ländern hat positiv auf die Anerkennungssysteme informeller Kompetenzen gewirkt. Es besteht ein Anspruch auf überwiegend öffentliche Finanzierung. In Finnland teilen sich Bildungs- und Arbeitsministerium die Kosten der Validierung, ergänzt um einen geringen Eigenbeitrag für die Fixkosten, der höher ausfallen kann, falls die Kandidatinnen und Kandidaten ein Einkommen beziehen. Als Alternative zu vollumfänglicher öffentlicher Finanzierung könnten entsprechende Mischformen über eine einkommensabhängige Unterstützung per BAföG oder Bildungsfonds in Deutschland einen Ansatzpunkt bieten. Wie in den Niederlanden und Frankreich wäre in Deutschland auch eine Beteiligung der Unternehmen an der Validierungsfinanzierung über die Freistellung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorstellbar.
- Eine feste Institutionalisierung ist eine wesentliche Bedingung für die allgemeine Akzeptanz der Zertifizierung von non-formal oder informell erworbenen Kompetenzen. Dabei müssen die Rollen und Zuständigkeiten der Akteure und die Art ihrer Vernetzung geklärt werden. In der Schweiz ist die Validierung von Bildung eine Verbundaufgabe von Branchenvertretern oder Berufsverbänden, dem Bund und den Kantonen. Ähnlich könnten sich in Deutschland die Beteiligten im Bereich der formalen Berufsbildung, wie die Kammern oder die Bundesagentur für Arbeit, die Aufgaben der Anerkennungsverfahren non-formaler und informeller Kompetenzen teilen.
- Die Nutzerinnen und Nutzer komplexer Anerkennungsverfahren brauchen geeignete Supportstrukturen und einen niedrigschwelligen Zugang zu Information und Beratung. In Finnland wurden flächendeckend Angebote zur Präsenzberatung und Unterstützung etabliert, ergänzt durch Websites oder Online-Chats mit Fachleuten, die Informationen zu den Abschlüssen und den Validierungsverfahren vermitteln. In Deutschland könnten die Agenturen für Arbeit oder die Kammern mit der Beratungsaufgabe betraut werden, da sie bereits über Beratungskompetenz verfügen, schon bei anderen Themen als Beratungsstelle fungieren und flächendeckend mit einer guten Verbindung zum Arbeitsmarkt etabliert sind.
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