Studie

Vorbilder schaffen Perspektiven: Mentoring in Schulen

Thema

Unterstützung sozial benachteiligter Jugendlicher durch Mentoring

Herausgeberschaft

Wübben Stiftung (Hg.)

Erscheinungsort

Düsseldorf

Erscheinungsjahr

2021

Stiftungsengagement

Wübben Stiftung, Jacobs Stiftung

Literaturangabe

Wübben Stiftung (Hg.): Impaktmagazin: Vorbilder schaffen Perspektiven: Mentoring in Schulen. Düsseldorf 2021.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass Kinder und Jugendliche in ihren Elternhäusern unterschiedlich starke familiäre Unterstützung erhalten und Mentoring-Beziehungen dazu beitragen können, fehlende Unterstützung aufzufangen und Kindern und Jugendlichen neue Perspektiven aufzuzeigen.

In einer mehrjährigen Studie wurde untersucht, welche Auswirkungen Mentoring-Programme auf Jugendliche aus stark benachteiligten Verhältnissen haben können, zum Beispiel auf den schulischen Erfolg oder die Arbeitsmarktchancen. Die Ergebnisse dieser Studie werden in der vorliegenden Publikation dargestellt. Durchgeführt wurde die Untersuchung unter der Leitung von Prof. Dr. Ludger Wößmann (Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München) gemeinsam mit Dr. Sven Resnjanskij (ifo Zentrum für Bildungsökonomik), Prof. Dr. Jens Ruhose (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) und Prof. Dr. Simon Wiederhold (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt). Finanzielle Unterstützung gab die Wübben Stiftung, die Jacobs Stiftung, Porticus und die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung.

Das untersuchte Mentoring-Programm „Rock your life!“

Die Wirksamkeit von Mentoring-Programmen wurde am Beispiel des großen deutschen Mentoring-Programms „Rock your Life!“ untersucht. Das Programm wurde 2008 von einer Gruppe von Universitätsstudent*innen ins Leben gerufen und wird inzwischen in 42 Städten in Deutschland angeboten. Seit der Gründung wurden im Rahmen des Programms mehr als 7.000 Mentoring-Beziehungen aufgebaut (2020). Das auf bis zu zwei Jahre angelegte Programm richtet sich an Schüler*innen der achten und neunten Klasse in Hauptschulen und vergleichbaren Schulformen in benachteiligten Stadtvierteln. Studierende werden ihnen als ehrenamtliche Mentor*innen zur Seite gestellt. Das Programm soll dazu dienen, einen erfolgreichen Übergang von der Sekundarstufe I in eine berufliche Ausbildung oder in die schulische Oberstufe zu gestalten. Um den Jugendlichen ein erfolgreiches Berufsleben zu ermöglichen, bestehen die Ziele der Mentoring-Beziehungen darin,

  • die benachteiligten Jugendlichen bei der Entwicklung ihrer individuellen Potenziale zu unterstützen,
  • ihr Selbstwertgefühl und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu fördern und
  • ihre schulische Situation zu verbessern und eine Auseinandersetzung mit der beruflichen Zukunft anzustoßen.

Den Kern des Programms bilden regelmäßige Mentor-Mentee-Treffen, die in einem zweiwöchigen Rhythmus stattfinden sollen. Neben gemeinsamen Freizeitaktivitäten wie Kino- und Zoobesuchen bestehen die Treffen auch darin, dass die Mentor*innen den Mentees bei der Bewältigung von Stresssituationen in der Schule oder Familie helfen, ihnen berufliche Orientierung geben und sie bei der Bewerbung auf einen Ausbildungsplatz unterstützen. Das Programm ist als Franchise-System selbstverwalteter lokaler Vereine in den teilnehmenden Universitätsstädten organisiert. Diese sind für den Betrieb und die Organisation des Mentoring-Programms verantwortlich. Die lokalen Vereine rekrutieren Studierende, die auf freiwilliger Basis als Mentor*innen fungieren. Eine Dachorganisation, die als gemeinnützige Holding organisiert ist, koordiniert die Aktivitäten der Mentoring-Standorte und ist für strategische Entscheidungen über die zukünftige Ausrichtung des Gesamtprogramms verantwortlich. Die Holding bietet standardisierte Schulungen für die Mentor*innen, Beratung über die Gestaltung der Mentoring-Beziehung und Schulungen über die Organisation der lokalen Vereine an. Das Programm stützt sich auf Finanzierung durch Stiftungen und andere soziale Investoren.

Vorgehensweise in der Studie

Die Wirksamkeit eines Programms lässt sich sehr gut anhand einer Kontrollgruppe erkennen. In der Studie wurde deshalb eine Kontrollgruppe integriert, die folgendermaßen gewonnen wurde: Wenn es an einem Standort mehr Bewerber*innen als freie Plätze im Mentoring-Programm „Rock your life!“ gab, entschied das Los über die Teilnahme. Durch die zufällige Einteilung konnten die Jugendlichen, die nicht in das Programm gelost wurden, eine überzeugende Kontrollgruppe für die Programmteilnehmer*innen bilden.

Die Evaluationsstudie wurde in zwei aufeinanderfolgenden Kohorten in zehn Städten in ganz Deutschland durchgeführt. Insgesamt haben 308 Jugendliche aus 19 Schulen daran teilgenommen. Die Basis-Datenerhebung vor dem jeweiligen Programmbeginn fand zwischen Oktober 2016 und Mai 2017 an den verschiedenen Standorten bei der ersten Kohorte und ein Jahr später bei der zweiten Kohorte statt. Unmittelbar nach der Basiserhebung wurde in jedem Standort die zufällige Zuteilung der Programmteilnahme durchgeführt. Kurz darauf startete jeweils das Programm. Um die Auswirkungen des Mentoring-Programms auf die Arbeitsmarktaussichten zu evaluieren, wurden die Jugendlichen etwa ein Jahr nach der Basiserhebung erneut befragt (Ende im Juni 2019).

Wichtige Ergebnisse

Wichtige Ergebnisse

Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass die Jugendlichen aus stark benachteiligten Verhältnissen sehr deutlich von der Teilnahme am Mentoring-Programm profitieren. Ihre Arbeitsmarktaussichten seien sehr viel besser als die Arbeitsmarktchancen von stark benachteiligten Jugendlichen, die nicht daran teilgenommen haben. Damit könne die Programmteilnahme die Lücke in den Arbeitsmarktaussichten zu Jugendlichen mit günstigerem sozioökonomischen Hintergrund vollkommen schließen. Die positiven Effekte seien bei Mädchen und Jungen gleichermaßen feststellbar.

Folgende signifikant positiven Effekte zeigten sich bei den stark benachteiligten Jugendlichen:

  • Verbesserung der Schulnote in Mathematik (um durchschnittlich 0,42 Notenschritte, was mehr als die Hälfte des Unterschieds zu den Jugendlichen mit günstigerem sozioökonomischen Hintergrund ausmacht),
  • Anstieg der Leistungen in der gesamten Notenverteilung,
  • Größere Geduld und mehr Sozialkompetenzen (gemessen als Prosozialität, Vertrauen und Selbstwirksamkeit),
  • Anstieg der Arbeitsmarktorientierung: zum einen steigt der Anteil der Jugendlichen, die angeben, nach der Schule eine Berufsausbildung machen zu wollen, um 22 Prozentpunkte (von 44 Prozent in der Kontrollgruppe auf 66 Prozent in der Teilnahmegruppe), zum anderen fokussieren sich die Jugendlichen stärker auf eine gute und realistische berufliche Zukunft,
  • positive Effekte auf die allgemeine Lebenszufriedenheit: die Verbesserung der Arbeitsmarktaussichten scheint sich in dem subjektiven Empfinden der Jugendlichen widerzuspiegeln.

Keine positiven Effekte auf Jugendliche mit günstigerem sozioökonomischen Hintergrund:

Im Gegensatz zu den stark benachteiligten Jugendlichen profitierten Jugendliche mit günstigerem sozioökonomischen Hintergrund nicht von der Teilnahme am Programm. Daraus leiten die Wissenschaftler ab, dass Mentoring offenbar vor allem bei stark benachteiligten Jugendlichen, denen es besonders an familiärer Unterstützung mangelt, seine positive Wirkung entfaltet.

Gründe für die Verbesserung der Arbeitsmarktaussichten für stark benachteiligte Jugendliche:

Laut den Ergebnissen der Analyse kann ein nennenswerter Anteil des positiven Effektes auf die Arbeitsmarktaussichten stark benachteiligter Jugendlicher darauf zurückgeführt werden, dass im Programm Mentor*innen als Ansprechpersonen wirken, mit denen die Jugendlichen über ihre Zukunft sprechen können. Zudem seien sie wichtige Ansprechpartner*innen zur Informationsbeschaffung über die zukünftige Berufswahl. Darüber hinaus steigerten die Mentoring-Beziehungen die Einsicht bei den Mentees, dass Lernen in der Schule für einen späteren Beruf nützlich sein kann, dass Mentoring nicht nur Schulleistungen verbessert, sondern auch bei Problemen außerhalb der Schule hilfreich sein kann.

Keinen besonderen Einfluss haben offenbar die Häufigkeit oder die Länge der Mentoring-Treffen. Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass das Programm trotz der positiven Effekte die Unterstützung der Eltern bei den Hausaufgaben oder bezahlte Nachhilfestunden nicht ersetzen kann. Die Programmteilnahme habe bei den stark benachteiligten Jugendlichen auch keine Auswirkungen auf andere Aktivitäten innerhalb und außerhalb der Schule, wie zum Beispiel das Engagement als Klassensprecher*in, die Teilnahme an einer Theater-AG oder eine ehrenamtliche Tätigkeit im Verein. Ebenso wenig beeinflusse das Programm, wie viele Freund*innen die Jugendlichen haben oder wie oft sie diese treffen.

Effekte auf Jugendliche mit Migrationshintergrund:

Das Mentoring-Programm erreicht auch einen sehr großen Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund: Bei mehr als der Hälfte (58 Prozent) der Teilnehmer*innen in der Evaluationsstudie ist entweder der Jugendliche selbst oder mindestens eines der Elternteile im Ausland geboren. Der Effekt des Programms nur für die Teilnehmer*innen mit Migrationshintergrund kann als signifikant positiv bewertet werden, doch fällt der Effekt etwas kleiner aus als der Effekt in der Gruppe der Jugendlichen mit benachteiligtem sozioökonomischen Hintergrund.

Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass es in erster Linie Benachteiligungen aufgrund des sozioökonomischen Hintergrundes sind (und nicht aufgrund des Migrationshintergrundes), die das Mentoring-Programm ausgleicht. Allerdings ergebe sich für Migrant*innen der ersten Generation – also Jugendliche, die selbst im Ausland geboren wurden – ein großer positiver Effekt der Teilnahme am Programm auf die Arbeitsmarktaussichten.

Fazit

Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass Mentoring-Programme die zukünftigen Arbeitsmarktchancen stark benachteiligter Jugendlicher erheblich verbessern können. Alle drei Komponenten des Gesamtindex der Arbeitsmarktaussichten, die kognitive, nicht-kognitive und motivationale Aspekte messen, werden durch das Programm positiv beeinflusst. Mentoring scheint also eine praktikable Möglichkeit zu sein, um die Aussichten stark benachteiligter Personen auch noch im Jugendalter zu erhöhen. Mentorinnen und Mentoren scheinen wichtige Elemente der familiären Unterstützung ausgleichen zu können, die vielen benachteiligten Jugendlichen fehlen. Im Gegensatz dazu wirkt das Programm nicht bei Jugendlichen mit günstigerem sozioökonomischen Hintergrund, da es diesen Jugendlichen nicht in erster Linie an zusätzlicher Unterstützung durch einen anderen Erwachsenen mangelt.

In einer Kosten-Nutzen-Analyse wurde der Nutzen des Programms in der Studie auch daran gemessen, welche lebenslangen Erträge sich auf dem Arbeitsmarkt ergeben, den die stark benachteiligten Jugendlichen aufgrund ihrer verbesserten Schulnoten (gemäß Berechnungen anhand entsprechender Arbeitsmarktdaten) erwarten dürfen. Aufgrund der großen Effekte und relativ niedrigen Kosten des Programms ergibt sich ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 15 zu 1 für die aktuelle Version des Programms und von 31 zu 1 für ein Programm, das sich auf Jugendliche aus stark benachteiligten Verhältnissen beschränken würde.

Fazit

Die Wissenschaftler empfehlen, eine Ausweitung des Programms auf diejenigen Jugendlichen zu konzentrieren, denen es wirklich an familiärer Unterstützung mangelt, da die Jugendlichen mit einem günstigeren familiären Umfeld vom Mentoring nicht zu profitieren scheinen. Jugendliche mit stark benachteiligtem sozioökonomischen Hintergrund seien aber ohnehin die Hauptzielgruppe für Maßnahmen, die soziale Ungleichheiten verringern wollen.

Die untersuchten Auswirkungen von Mentoring auf Arbeitsmarktaussichten von jungen Menschen sollten nicht nur aus volkswirtschaftlicher Sicht, sondern auch im Sinne des zukünftigen Wohlbefindens der benachteiligten Jugendlichen von zentralem Interesse sein. Insofern seien die Befunde, dass Mentoring die Arbeitsmarktaussichten von stark benachteiligten Jugendlichen positiv beeinflussen kann, sehr ermutigend, um benachteiligten Jugendlichen effektiv zu helfen und die Chancengleichheit in der Gesellschaft zu verbessern.