Von der Welt lernen: Gute Praxis im Umgang mit kultureller Vielfalt
- Handlungsfeld
- Diversität
Thema
Zusammenleben in einer kulturell vielfältigen Gesellschaft
Herausgeberschaft
Bertelsmann Stiftung
Autoren/Autorinnen
Ulrike Spohn/Kai Unzicker/Stephan Vopel/Andreas Heimer/Claudia Münch/Felix Strier
Erscheinungsort
Gütersloh
Erscheinungsjahr
2018
Stiftungsengagement
Bertelsmann Stiftung
Literaturangabe
Von der Welt lernen: Gute Praxis im Umgang mit kultureller Vielfalt. Hrsg. v. Bertelsmann Stiftung. Gütersloh 2018.
Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise
Thema der Publikation ist das gelingende Zusammenleben in kulturell vielfältigen Gesellschaften. Die Autorinnen und Autoren machen deutlich, dass kulturelle Vielfalt auch in Deutschland eine lange historische Tradition hat. Einerseits berge der Austausch zwischen Menschen mit verschiedenen kulturellen Identitäten Potenziale und Chancen: Unterschiedliche Perspektiven, Traditionen und Praktiken könnten Impulse für Kreativität und Innovation geben. Andererseits müsse aber auch anerkannt werden, dass kulturelle Vielfalt die Komplexität des Zusammenlebens erhöht: Wenn verschiedene Kulturen, Religionen, Traditionen und Praktiken – verbunden mit unterschiedlichen Wertvorstellungen – aufeinandertreffen, könnten auch Spannungen und Konflikte entstehen.
Den Rahmen des Zusammenlebens in kultureller Vielfalt forme der Staat durch seine Gesetze, seine Rechtsprechung und Verwaltungspraxis. In der Bundesrepublik Deutschland ist dieser rechtliche Rahmen im Grundgesetz in verschiedenen Artikeln (vor allem in den Artikeln 1-4) festgelegt. Die Herausforderungen eines Zusammenlebens in kultureller Vielfalt würden sich aber im gelebten Alltag ergeben. Deshalb brauche es zahlreiche gesellschaftliche Begegnungs-, Akzeptanz- und Identifikationsprozesse, die den kulturellen Wandel begleiten und den Zusammenhalt in der Vielfalt in der Praxis fördern. Eine vielfältige Bevölkerung erfordere außerdem Verständigungsprozesse in Politik und Medien über ein neues Selbstbild der Gesellschaft.
Die vorliegende Publikation dokumentiert die Ergebnisse einer internationalen Recherche über gute Beispiele, wie ein gelingendes Zusammenleben in kultureller Vielfalt gelingen kann. Durchgeführt wurde die Recherche von der Prognos AG im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Zentrale Frage der Recherche war, wie das Zusammenleben vor Ort in kulturell vielfältigen Gesellschaften so gestaltet werden kann, dass alle Bürgerinnen und Bürger gesellschaftlich teilhaben, politisch partizipieren, sich der Gesellschaft zugehörig fühlen und vertrauensvolle Beziehungen zu anderen pflegen können. In über hundert Interviews und drei Vor-Ort-Besuchen analysierte das Rechercheteam städtische Gesamtkonzepte und lernte konkrete lokale Initiativen kennen, die das Zusammenleben in kultureller Vielfalt aktiv gestalten.
- Analysiert wurden zum einen exemplarische Städte, die sich zwar in ihrer Größe, Sozialstruktur und Komposition der kulturellen Vielfalt unterscheiden, aber alle jeweils eine explizite und koordinierte Strategie im Umgang mit Vielfalt verfolgen. Um den Transfer von Ideen zu unterstützen, wurden sechs vielfältige Städte westlicher Industriestaaten ausgewählt, die einen Vergleich mit Städten in Deutschland ermöglichen (Mechelen, Leicester, Barcelona, Malmö, Toronto, Nashville). Diese Städte mit großer kultureller Vielfalt zeichnen sich dadurch aus, dass sie erfolgreiche Strategien im Umgang mit kultureller Vielfalt umsetzen und dabei unterschiedliche, für sie passende Modelle entwickelt und eigene Schwerpunkte gesetzt haben. Dadurch kann eine Bandbreite von Lösungswegen anhand unterschiedlicher Städtetypen abgebildet werden, die für Deutschland Inspiration sein könnte.
- Zum anderen wird in der Publikation über einzelne Projekte berichtet, die teilweise in die Gesamtstrategien der ausgewählten Städte eingebunden sind, in den meisten Fällen jedoch als Einzelinitiativen aus anderen Ländern oder Städten stammen. Diese Einzelprojekte sollen zeigen, wie facettenreich und innovativ die Gestaltung von Vielfalt auf der lokalen Ebene sein kann und dass sie nicht immer zwingend in eine übergeordnete politische Strategie eingebunden sein muss. Das soll verdeutlichen, dass jeder und jede mit guten Ideen, Motivation und gemeinsamer Tatkraft zu einem gelingenden Zusammenleben vor Ort beitragen kann.
Die Autorinnen und Autoren betonen, dass kulturelle Vielfalt ein Querschnittsthema ist und für viele gesellschaftliche Handlungsfelder eine große Relevanz hat. Kulturelle Vielfalt sei in vielen Bereichen auch mit neuen Anforderungen verbunden. Betroffen sei sowohl die Gestaltung der Gesamtgesellschaft und der Umgang der Menschen innerhalb von Institutionen, wie etwa Schulen oder Unternehmen, als auch alltägliche Begegnungen in Stadt und Nachbarschaft.
Die Analyse der Städte und der Einzelprojekte orientierte sich an zentralen gesellschaftlichen Handlungsbereichen, in denen das Zusammenleben in Vielfalt gestaltet wird: Bürgerschaft, Bildung, Begegnung, Arbeitswelt und Medien. Im Ergebnis werden zehn Handlungsempfehlungen zum gelingenden Zusammenleben in kultureller Vielfalt formuliert, die aus den Analysen der Beispiele aus dem In- und Ausland abgeleitet wurden.
Wichtige Ergebnisse
Interkulturelle Strategien in sechs Städten und lokale Projekte für ein gelingendes Zusammenleben in kultureller Vielfalt
Ein wichtiges Ergebnis der Studie war, dass neue gesellschaftliche Prozesse erforderlich sind, die den sozialen Zusammenhalt in einer sich verändernden, kulturell vielfältigen Gesellschaft stärken können. Das konkrete Zusammenleben in kultureller Vielfalt finde für die Menschen an ihren Wohnorten statt. Deshalb seien Städte und Kommunen in besonderer Weise gefordert, den kulturellen Austausch zu ermöglichen, Teilhabechancen sicherzustellen und Diskriminierung zu verhindern bzw. abzubauen. Notwendig seien Maßnahmen, die unter den Bedingungen von Vielfalt
- das Zugehörigkeitsgefühl zum Gemeinwesen stärken,
- Bildungschancen verbessern,
- Wissen über andere Kulturen vermitteln,
- Dialog und Austausch initiieren,
- Aufstiegschancen auf dem Arbeitsmarkt fördern und
- auf eine angemessene Art und Weise über Vielfalt berichten.
Die präsentierten sechs Städtestrategien von Mechelen, Leicester, Barcelona, Malmö, Toronto und Nashville machten übergreifend deutlich, dass die Förderung der Interaktion zwischen den Menschen ein wichtiger Faktor ist, um ein gelingendes Zusammenleben zu verwirklichen. Gleichzeitig unterscheiden sich die Herangehensweisen der Städte gemäß ihrer jeweiligen Größe, ihrer Migrationsgeschichte und ihren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. So würden sich vielfältige Anknüpfungspunkte für die Übertragbarkeit auf deutsche Städte ergeben.
Folgende Studienergebnisse werden vorgestellt:
- Die Politik der Stadt Mechelen in Belgien betrachte Vielfalt als die neue Realität von Städten, die aktiv gestaltet werden muss. Besonderer Wert werde darauf gelegt, dass die Bürgerinnen und Bürger verschiedener Herkunft Beziehungen zueinander aufbauen. Um das Vertrauen aller in der Stadtgesellschaft zu stärken, setze die Stadtverwaltung auf eine strenge Sicherheitspolitik mit frühzeitigen Interventionen. Tendenzen der Segregation wirke sie durch gemischte Stadtviertel und Schulen entgegen. Ein neues Selbstverständnis, das die kulturelle Vielfalt Mechelens spiegelt und die Gemeinsamkeiten der Einwohnerschaft betont, solle zudem die Identifikation der Bewohnerinnen und Bewohner mit ihrer Stadt fördern.
- Die ehemalige Industriestadt Leicester sei eine der ethnisch und religiös vielfältigsten Kommunen im Vereinigten Königreich. Sie stehe exemplarisch für den institutionalisierten Dialog verschiedener, insbesondere religiöser, Gemeinschaften untereinander sowie mit der Stadtverwaltung. Leicester habe als eine der ersten Städte in Großbritannien eine sogenannte Community Cohesion Strategy umgesetzt. Ziel sei es, ein auf Austausch und gegenseitiger Anerkennung gegründetes Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln, das auf interkulturellem Verständnis beruht.
- Die spanische Hafenstadt Barcelona habe eine pragmatische Politik der kulturellen Vielfalt entwickelt. Auf Basis einer offiziellen interkulturellen Strategie, die in einem partizipativen Prozess mit den Bürgerinnen und Bürgern erarbeitet wurde, integriere die kulturell vielfältige Mittelmeermetropole Interkulturalität im Sinne eines Mainstreaming-Ansatzes in allen städtischen Politikfeldern und Abteilungen. In die Umsetzung seien Akteure der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft eng eingebunden.
- In der schwedischen Stadt Malmö gelte die kulturelle Vielfalt der Bewohnerschaft als selbstverständlicher Bestandteil der Stadt. Wegweisende Vision der Stadtverwaltung sei die Entwicklung einer sozial nachhaltigen Stadt, in der alle Bewohnerinnen und Bewohner gleichberechtigte Teilhabechancen am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben haben. In Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft und Unternehmen fördere die Stadt etwa in Bereichen der Bildung, der öffentlichen Raumplanung und Beschäftigung interkulturelle Interaktion und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten.
- Die Stadtverwaltung Torontos betone mit einem gezielten Branding ihr Image als kulturell vielfältigste Metropole Kanadas. Durch Leistungsverpflichtungen in offiziellen Statements binde sich die Verwaltung an ihr Versprechen, gleichberechtigte Teilhabechancen für alle Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen. Die bedarfsgerechte Gestaltung öffentlicher Leistungen werde durch das Prinzip „Equality of Outcome“ (i. S. von Gerechtigkeit im Ergebnis) sichergestellt, wobei Vielfalt als Ressource für nachhaltigen und inklusiven Wohlstand genutzt wird.
- In Nashville stehe die Stadtpolitik im Zeichen des Mottos „Empowerment to Interact“. Nachhaltige Partizipationsmöglichkeiten für „New Americans“ solle die Bürgergesellschaft stärken und Vertrauen sowie gegenseitiges Verständnis aufbauen. Die Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen trage dazu bei, die unternehmerischen Potenziale der Zugewanderten zu fördern und Nashville als Wirtschaftsstandort zu stärken.
Die Fallbeispiele verdeutlichen nach Ansicht der Autorinnen und Autoren, wie wichtig es ist, dass die Verwaltung und andere Stakeholder der Stadt das Thema Vielfalt aktiv und mit einer positiven Haltung angehen. In erfolgreichen Beispielen werde immer eine gemeinsame Vision der Stadt vermittelt, die Unterschiede der Bewohnerschaft anerkennt, aber zugleich auch Gemeinsamkeiten betont und das Zusammengehörigkeitsgefühl aller Stadtbewohnerinnen und -bewohner stärkt.
Um sicherzustellen, dass Interkulturalität effektiv als fester Bestandteil der Stadtpolitik Wirkung entfaltet, sollte unter Einbezug der Bürgerinnen und Bürger eine übergreifende Strategie mit konkreten und nachprüfbaren Zielen entwickelt werden. Die Umsetzung der Strategie und ihrer konkreten Maßnahmen sollte als Querschnittsthema in allen Abteilungen der Stadtverwaltung und Ressorts angelegt sein. Damit aus einem Nebeneinander auch wirklich ein Miteinander wird und allen Bürgerinnen und Bürgern gerechte Chancen auf Teilhabe gewährt werden, seien gemischte Stadtviertel mit gemeinsamen Schulen, Vereinen und Kulturstätten etc. wichtig, da sich Vorurteile am besten durch Begegnung und Kommunikation abbauen lassen. Öffentliche Begegnungsorte und Dialogformen würden Raum bieten, damit sich Menschen verschiedener Kulturen austauschen und gemeinsam etwas Neues schaffen können.
Fazit und zehn Empfehlungen
Gelingendes Zusammenleben in kultureller Vielfalt bedeute, dass alle Menschen – unabhängig von ihrer kulturellen Identität – die Chance haben, am Wohlstand der Gesellschaft teilzuhaben, politisch partizipieren , sich der Gesellschaft zugehörig fühlen und vertrauensvolle Beziehungen zu anderen pflegen können. Um dieses Ziel zu erreichen, brauche es Strategien.
1. Klares Bekenntnis zu einem respektvollen Umgang mit Vielfalt abgeben
Städte sollten sich klar zu einem respektvollen Umgang mit Vielfalt in der Stadtgesellschaft bekennen. Sie sollten die Chance nutzen, den Respekt vor Vielfalt als positive Marke der Stadt zu entwickeln und darüber die lokale Identität und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Das Bekenntnis zu einem respektvollen Umgang mit Vielfalt könne beispielsweise durch Auszeichnungen, Kampagnen, Plakate oder Feste der Stadt transportiert werden. Auch ein Gruß auf der Internetseite oder in den Social-Media-Kanälen der Stadtverwaltung zu den hohen Feiertagen der verschiedenen religiösen Gemeinschaften in der Stadt sei eine einfache Möglichkeit, die Zugehörigkeit aller zu signalisieren.
2. Leadership für Vielfalt zeigen
Städte bräuchten aktive Treiber gelingender Vielfalt, die über Ansehen verfügen und als Autorität betrachtet werden. Hier komme Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitikern eine wichtige Rolle zu, insbesondere dem (Ober-)Bürgermeister oder der (Ober-)Bürgermeisterin. Von der öffentlichen Haltung führender Persönlichkeiten gehe eine wichtige Signalwirkung aus: Sie könnten Orientierung geben und Vertrauen schaffen, indem sie sich authentisch für eine vielfältige Gesellschaft einsetzen. Dies beginne in der Stadtverwaltung selbst, die als Arbeitgeberin und Einkäuferin von Dienstleistungen eine wichtige Vorbildfunktion habe. Sie sollte deshalb mit gutem Beispiel vorangehen und die Prozesse zur Rekrutierung von Personal im Sinne der interkulturellen Öffnung so anlegen, dass die Belegschaft die Vielfalt der Bewohnerschaft widerspiegelt. Fremdsprachen und Kenntnisse verschiedener Kulturen sollten als Kompetenz gewürdigt werden. Ebenso könnten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge im Rahmen der geltenden Richtlinien vorhandene Spielräume für eine interkulturelle Öffnung genutzt werden.
3. Starke Vorbilder einsetzen
Politische Leadership für Vielfalt müsse durch Vorbilder im gesellschaftlichen Alltag ergänzt werden, die das Zusammenleben in Vielfalt ganz selbstverständlich als Normalität vorleben. Dies könnten Lehrkräfte, Akteure der Jugendarbeit, Polizistinnen und Polizisten, Fußballtrainer und -trainerinnen, Theatermacherinnen und Theatermacher oder andere „Helden“ der Zivilgesellschaft sein, die als Vorbilder „von nebenan“ Mut machen und Vertrauen in eine vielfältige Gesellschaft vermitteln können. Die nachhaltige Verwirklichung eines gelingenden Zusammenlebens in Vielfalt erfordere eine breite gesellschaftliche Basis und die Verankerung in verschiedenen Handlungsfeldern.
4. Strategisch koordinieren und vernetzen
Vielfalt sollte nicht als isoliertes Thema getrennt von anderen städtischen Aufgaben betrachtet, sondern als Querschnittsthema in allen Handlungsfeldern strategisch mitgedacht werden. Dies erfordere eine Koordination und Vernetzung zwischen einzelnen städtischen Verwaltungseinheiten sowie zwischen der Stadt und den zentralen gesellschaftlichen Akteuren, die in den unterschiedlichen Handlungsfeldern praktisch tätig sind. Die strategische und koordinierte Zusammenarbeit in den Bereichen Jugendarbeit, Schule und Kita, lokale Wirtschaft, Wohnen, Sicherheit usw. schaffe eine Grundlage für effektives Handeln, bei dem alle Akteure an einem Strang ziehen. Die Einrichtung einer entsprechenden Stelle für Strategie und Koordination innerhalb der Stadtverwaltung sei sinnvoll, um konkrete und nachprüfbare Ziele zu entwickeln, Verantwortlichkeiten festzulegen und Erfolge wie auch Defizite bei der Umsetzung der städtischen Strategie zur Gestaltung von Vielfalt nachzuhalten und transparent zu machen.
5. Kulturelle Besonderheiten aktiv anerkennen
Verschiedene Traditionen und Religionen gehen mit unterschiedlichen Lebensgewohnheiten und Ritualen einher. Städte sollten die daraus resultierenden kulturellen Besonderheiten im Rahmen der geltenden gesetzlichen Ordnung aktiv anerkennen, um allen Bürgerinnen und Bürgern ein Gefühl der Teilhabe und Zugehörigkeit zur Stadtgesellschaft zu vermitteln. Dies lasse sich praktisch zum Beispiel durch die Akzeptanz religiöser Kopfbedeckungen bei Berufen im öffentlichen Dienst oder die Berücksichtigung unterschiedlicher Bestattungsrituale auf städtischen Friedhöfen verwirklichen. Für die Entwicklung einer gemeinsamen Identität und eines Zusammengehörigkeitsgefühls sollten aber auch die Gemeinsamkeiten der Stadtbewohnerinnen und -bewohner betont werden.
6. Begegnungsräume schaffen
Städte sollten aktiv Begegnungsräume schaffen – sowohl im wörtlichen Sinne der Gestaltung öffentlicher Räume als auch im übertragenen Sinne der Förderung von Austausch und Dialog. Ersteres geschehe etwa mittels partizipativer Stadtplanung, die gemeinsame Interessen wie auch unterschiedliche Bedürfnisse ermittelt und unter Beteiligung aller Betroffenen einen „Ort für alle“ – zum Beispiel ein Jugendzentrum oder einen Park – gestaltet. Auch Nachbarschaftszentren, Stadtbüchereien oder Sportstätten würden sich hierfür anbieten. Hilfreich seien professionell geschulte Personen in Mediation und Quartiersmanagement, die den Austausch zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen begleiten und bei Missverständnissen oder Konflikten vermitteln können. Begegnung im zweiten Sinne könne in Form von Gesprächsforen geschaffen werden, die eine Plattform für die Suche nach Gemeinsamkeiten, aber auch für den Austausch über Differenzen sowie die friedliche Austragung von Konflikten bieten. Daneben könnten mit Buddy- und Mentoring-Projekten oder städtischen Feiern und Festen Begegnung und Austausch gefördert werden. Durch gemeinsame Unternehmungen könnten persönliche Beziehungen, Vertrauen und Zusammenhalt über kulturelle Grenzen hinweg entstehen. So sollte auch einer übermäßigen Wohnsegregation aktiv entgegengewirkt werden, etwa durch eine gezielte Förderung von sozialem Wohnungsbau sowie durch die Erneuerung und Aufwertung benachteiligter Viertel. Stadtviertel, die die soziale und kulturelle Mischung der Stadt angemessen spiegeln, seien langfristig wichtig, um Chancengleichheit und den Zusammenhalt der Gesellschaft zu sichern und die Entstehung von Parallelstrukturen zu vermeiden. Gleichwohl müsse eine gewisse räumliche Verdichtung einer kulturell ähnlichen Einwohnerschaft nicht notwendigerweise immer schädliche Segregation bedeuten. Die Forschung zu sogenannten Ankunftsquartieren habe gezeigt, dass die hier entstehenden sozialen Netzwerke eine Brückenfunktion übernehmen und zur gesamtgesellschaftlichen Integration beitragen können.
7. Beteiligung fördern
Städte sollten gezielt Möglichkeiten zur aktiven Mitgestaltung schaffen. Wenn Bürgerinnen und Bürger sich mit ihren eigenen persönlichen Stärken gesellschaftlich einbringen und aktiv einen Beitrag leisten können, der von anderen geschätzt und anerkannt wird, stärke dies das Gefühl der Zugehörigkeit und schaffe zugleich einen Mehrwert für alle. Die Erfahrung, aus eigener Kraft etwas bewegen und zum Beispiel das eigene Stadtviertel mitgestalten zu können, schaffe eine Bindung an und ein Gefühl der Verantwortung für diesen Lebensraum, der gemeinsam mit anderen geteilt wird. Partizipative Prozesse steigern zudem die Akzeptanz für die erzielten Ergebnisse, da die verschiedenen Erwartungen und Bedürfnisse von Anfang an in den Gestaltungsprozess einfließen. Auch auf der formalen politischen Ebene, also in den politischen Institutionen und Gremien der Stadt, sollte die Vielfalt der Bevölkerung angemessen repräsentiert sein. Die Mitsprache von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen in Parlamenten und Ausschüssen sowie die Beteiligung an Runden Tischen oder anderen Formaten zum Austausch zwischen Politik und Zivilgesellschaft könnten für Gleichberechtigung sorgen und der Entstehung von Missverständnissen, Vorurteilen und Gerüchten vorbeugen.
8. Teilhabegerechtigkeit für alle verwirklichen
Vertrauen und Offenheit gegenüber anderen würden auf der Grundlage gedeihen, dass das Versprechen gerechter Teilhabe an wesentlichen gesellschaftlichen Gütern und Leistungen überzeugend verwirklicht ist. Das Gefühl, diskriminiert oder systematisch abgehängt zu sein, begünstige die Entstehung von Frustration und Neid sowie in der Folge die Suche nach Sündenböcken. Daher sollten Städte die Möglichkeit zur gerechten Teilhabe aller an Bildung, Arbeit, Wohnen, Infrastruktur usw. aktiv fördern.
9. Sicherheit gewährleisten
Für das dauerhafte Bestehen vertrauensvoller Beziehungen sei es auch wichtig, dass alle Bürgerinnen und Bürger sich im öffentlichen Raum sicher fühlen. Entscheidend für das Vertrauen in die Polizei sei, dass die Sicherheitskräfte sich bei ihrer Arbeit allein auf konkrete rechtswidrige Handlungen beziehen und nicht etwa wie beim „Racial Profiling“ von kulturellen Stereotypen leiten lassen. Regelmäßige Fortbildungen und Trainings zum Umgang mit einer kulturell vielfältigen Bevölkerung sollten daher fester Bestandteil der Polizeiarbeit sein. Des Weiteren sollte auch die Personalrekrutierung bei der Polizei darauf angelegt sein, Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen zu gewinnen. Diese könnten mit ihrem interkulturellen Wissen und ihren Sprachkenntnissen interkulturelle Kompetenz in die Polizeiarbeit einbringen. Wenn sich die kulturelle Vielfalt der Gesellschaft auch im Personal der Polizei widerspiegelt, stärke dies außerdem die Wahrnehmung von Vielfalt als Normalität. Darüber hinaus könne mit weiteren Maßnahmen Vertrauen und Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern geschaffen werden. Ein Beispiel seien Quartierspolizisten, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad stets in denselben Stadtvierteln unterwegs sind und zu den Menschen dort einen guten Kontakt pflegen.
10. Monitoring einrichten
Um langfristig wirksame und nachhaltige Strategien für die Gestaltung eines gelingenden Zusammenlebens in Vielfalt zu entwickeln, sollten Städte ein systematisches Monitoring betreiben. Das bedeute, Projekte und Maßnahmen von Beginn an mit nachprüfbaren Zielen zu konzipieren, Verlauf und Ergebnisse zu dokumentieren und regelmäßig zu evaluieren. Auf Basis der generierten Daten könne die Entwicklung des interkulturellen Zusammenlebens in der Stadt im Zeitverlauf beobachtet werden. Sowohl Fortschritte als auch Defizite würden dadurch sichtbar. Dies ermögliche systematische Lernprozesse innerhalb der eigenen Stadt und schaffe zudem eine handfeste Grundlage für Austausch und wechselseitiges Lernen der Städte untereinander.