Themendossier Zugang zu Bildungseinrichtungen für Flüchtlinge
- Handlungsfeld
- Diversität
- Bildungsabschnitt
- Hochschule
- Kita
- Schulische Bildung/Schulbildung
Thema
Zugang von Flüchtlingen zu Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen
Herausgeberschaft
Robert Bosch Stiftung
Erscheinungsort
Stuttgart
Erscheinungsjahr
2015
Stiftungsengagement
Robert Bosch Stiftung
Literaturangabe
Robert Bosch Stiftung (Hrsg.): Themendossier Zugang zu Bildungseinrichtungen für Flüchtlinge: Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen. Stuttgart 2015.
Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise
Mit der im März 2015 einberufenen Robert Bosch Expertenkommission zur Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik unter Vorsitz von Armin Laschet (Fraktions- und Landesvorsitzender der CDU Nordrhein-Westfalen und ehemaliger Integrationsminister des Landes Nordrhein-Westfalen) hat die Robert Bosch Stiftung zehn hochrangige Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammengebracht, um neue und konkrete Handlungsoptionen und Reformvorschläge zur deutschen Flüchtlingspolitik zu entwickeln. Die Kommission versteht sich dabei als ein parteiübergreifendes und unabhängiges Gremium.
Die gestiegene Zahl an Flüchtlingen in den letzten beiden Jahren stellt das Bildungssystem vor die Frage, wie die neu ins Land gekommenen Kinder und Jugendlichen aufgenommen und in die verschiedenen Bildungsinstitutionen (Kita, Schule, Hochschule) erfolgreich eingegliedert werden können.
Dieser Frage widmet sich das Themendossier Zugang zu Bildungseinrichtungen für Flüchtlinge. In das Dossier ist auch das im Auftrag der Robert Bosch Stiftung erstellte Gutachten „Bildungszugang und Deutscherwerb für Flüchtlinge in Deutschland“ von Prof. Dr. Christoph Schroeder et al. (Lehrstuhl für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache am Institut für Germanistik der Universität Potsdam) eingeflossen.
Wichtige Ergebnisse
Handlungsempfehlungen und Reformvorschläge
Frühkindliche Bildung
1. Zukünftig sollte in allen Bundesländern systematisch der Sprachstand bei allen Vierjährigen im Rahmen der Schulfähigkeitsprüfung erhoben werden. Die Bundesländer sollten ihre Standards dafür abstimmen.
2. Über den Zugang zu frühkindlicher Bildung sollten Flüchtlingseltern bereits in Erstaufnahmeeinrichtungen systematisch informiert werden.
Schulbesuch und Schulorganisation
3. In allen Bundesländern sollte die Schulpflicht für Flüchtlingskinder, nicht nur ein Recht auf Schulbesuch, gesetzlich verankert werden.
4. Im Einklang mit der EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33 sollte die Schulpflicht für Flüchtlingskinder in allen Bundesländern spätestens drei Monate nach Antragstellung beginnen.
5. Für schulpflichtige Flüchtlingskinder sollten flächendeckend in allen Bundesländern und allen betroffenen Schulen und Schularten Vorbereitungsklassen für das Erlernen der deutschen Sprache eingerichtet werden. Vorbereitungsklassen sollten eine Brückenfunktion haben. Die möglichst frühzeitige Integration von Schülerinnen und Schülern in die Regelklassen sollte explizites Ziel in allen Bundesländern sein.
6. Vorbereitungsklassen für Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache sowie zusätzlicher Sprachunterricht sollten gegebenenfalls auch in den Schulferien angeboten werden. Zudem sollten Flüchtlingskinder systematisch in andere Ferienbetreuungsangebote eingebunden werden.
7. In den Erstaufnahmeeinrichtungen sollten von Anfang an Sprachförderkurse für Kinder zur Alltagsbewältigung und begleitende Sprachvorbereitungskurse für Eltern von Flüchtlingskindern eingerichtet werden. Schulen mit Vorbereitungsklassen für Flüchtlingskinder sollten die Eltern im Sinne einer aufsuchenden und begleitenden Elternarbeit einbeziehen, die Schulelternvertretungen sollten zu ihren Sitzungen beratend Elternvertreterinnen und -vertreter aus Flüchtlingsfamilien hinzuziehen. Schulleitungen könnten auch Flüchtlingselternbeiräte einbeziehen, die ihnen und den Lehrkräften beratend zur Seite stehen. Die gezielte Flüchtlingsintegration sollte auch in die Schulentwicklungsprogramme aufgenommen werden.
9. Für die Vorbereitungsklassen sollten klare curriculare Vorgaben und Kompetenzziele entwickelt werden (schleswig-holsteinisches Modell als Muster für Flächenstaaten).
10. Berufsschulen sollten grundsätzlich auch nicht mehr schulpflichtige Heranwachsende und junge Erwachsene (bis zu einem Alter von 21 Jahren, in Ausnahmefällen bis 25 Jahren) aufnehmen müssen, um diese (nach bayerischem Vorbild) in das duale System zu integrieren. Berufsschulen in privater Trägerschaft sollten für alle schulgeldfrei sein.
Lehreraus- und -fortbildung
11. Der Umgang mit sprachlicher und kultureller Heterogenität muss als Querschnittsaufgabe in die Lehrerbildung integriert werden. Dafür bedarf es nicht nur geeigneter Materialien und Handreichungen, sondern auch der durchgängigen Berücksichtigung des Themas in der Lehreraus- und -fortbildung.
12. Zukünftig sollte der gleichzeitige Deutschunterricht in der dominanten Familiensprache und im Deutschen die Regel für den Erwerb der deutschen Sprache durch Schülerinnen und Schüler mit Fluchthintergrund sein. Dafür bedarf es einer verstärkten Einstellung von Lehrkräften mit Kompetenzen in den Herkunftssprachen der Flüchtlinge sowie die Entwicklung von sprachkontrastivem Unterrichtsmaterial.
13. Die Lehrkräfte der Vorbereitungsklassen sollten eine (begleitende) Weiterbildung zum Thema Trauma und Traumatisierungen von Flüchtlingskindern erhalten. Entsprechende Weiterbildungsmöglichkeiten sollten auch für Schulpsychologinnen und Schulpsychologen sowie für Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter angeboten werden.
14. Die Ausbildung für Deutsch als Zweitsprache sollte gesetzlich in der Lehrerausbildung verankert werden.
15. Die Lehrerfortbildungseinrichtungen der Bundesländer sollten das Angebot im Bereich Deutsch als Zweitsprache erhöhen.
16. Eine bundesweite Datenbank sollte allen Lehrkräften Materialien für die Vorbereitungsgruppen zur Verfügung stellen, auch curriculare Materialien und Vorschläge für die Zweitalphabetisierung in lateinischer Schrift und die Förderung der familiensprachlichen Kompetenzen.
Hochschulzugang
17. Hochschulen und Länder sollten die bestehenden rechtlichen Spielräume nutzen, um Asylbewerberinnen und Asylbewerbern mit Bleibeperspektive und Geduldeten ein Studium und davor den zügigen Erwerb der notwendigen Deutschkenntnisse zu ermöglichen. Der Aufenthalt muss für die Dauer des Studiums gesichert sein. Geduldete sollten Zugang zum BAföG ab Feststellung der Duldung erlangen. Zu prüfen wäre, wie der Zugang zum BAföG für Asylsuchende mit hoher Bleibeperspektive erleichtert werden kann. Bundesweit sollte die Zahl der Plätze in Studienkollegs zur einjährigen Vorbereitung auf ein Studium deutlich ausgebaut werden.
Bildungsverwaltung
18. Die Kultusministerkonferenz (KMK) sollte eine Taskforce zum Thema Schulunterricht für Flüchtlingskinder einrichten, die den Bedarf der einzelnen Bundesländer abgleicht, die nötige Arbeitsteilung zwischen den Ländern koordiniert, mit den Kultusministerien der Länder Absprachen zur (temporären) Einstellung von Sprachlehrkräften trifft und Beispiele guter Praxis sammelt, dokumentiert und zugänglich macht.
19. Die Empfehlungen der KMK zur „Interkulturellen Bildung und Erziehung in der Schule“ (2013) ist um entsprechende Passagen zum Thema Flüchtlingsaufnahme und -integration sowie Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache für Flüchtlinge zu erweitern.
20. Das Programm „Bildung und Teilhabe“ im Rahmen der Grundsicherung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) sollte auf seine Wirksamkeit für Zugewanderte überprüft und entbürokratisiert werden.
21. Professioneller Nachhilfeunterricht sollte gebührenfrei für alle im Internet verfügbar gemacht werden.
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