Handreichung

Nachhilfe für die Integration

Thema

Freiwilliges Engagement für die Integration von Geflüchteten ins Bildungssystem

Herausgeberschaft

Vodafone Stiftung Deutschland

Erscheinungsort

Düsseldorf

Erscheinungsjahr

2016

Stiftungsengagement

Vodafone Stiftung Deutschland

Literaturangabe

Vodafone Stiftung Deutschland (Hrsg.): Nachhilfe für die Integration. Erfolgsfaktoren für das Flüchtlingsengagement in der Bildung. Eine Umfrage unter gemeinnützigen Organisationen aus den Bereichen Kita, Schule und Studium. Düsseldorf 2016.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass unter den nach Deutschland geflüchteten Menschen sehr viele Kinder und Jugendliche sind. Damit die jungen Menschen das Bildungssystem durchlaufen und frühzeitig in Gesellschaft und Arbeitsmarkt integriert werden können, ist festzustellen, dass es deutlich mehr qualifizierter Lehrkräfte und Erzieherinnen und Erzieher bedarf, aber auch zusätzlicher Unterstützung durch freiwillige Engagierte von außen. Die jungen Geflüchteten müssen für einen erfolgreichen Bildungsweg befähigt werden, vor allem durch die Vermittlung der deutschen Sprache und von Basiskenntnissen über deutsche und europäische Rechtsgrundlagen, Geschichte und Kultur. Sie brauchen aber auch Unterstützung bei der Orientierung in der Gesellschaft, im Bildungssystem, bei der Berufswahl und bei der Lernförderung.

Die zentrale Frage lautet: Wie kann das Engagement der freiwillig Engagierten so organisiert werden, dass die Geflüchteten auf ihrem Bildungsweg in Deutschland bestmöglich unterstützt werden?

Ziel der Studie war es, aus den Erfahrungen gemeinnütziger Organisationen zu lernen, die diese Arbeit bereits seit einigen Jahren erfolgreich leisten und von der Vodafone Stiftung Deutschland gefördert werden (ArbeiterKind.de, Bürgernetzwerk Bildung, ROCK YOUR LIFE!, Tausche Bildung für Wohnen, Teach First Deutschland). Die Befragung der Organisationen erfolgte mit einem Online-Fragebogen und Tiefeninterviews. Es handelt sich somit nicht um eine repräsentative wissenschaftliche Untersuchung, sondern um den pragmatischen Versuch, das erfolgreich erprobte Erfahrungswissen aus unterschiedlichen Organisationen an verschiedenen Orten zu erfassen, systematisch aufzubereiten und für möglichst viele Praktikerinnen und Praktiker im Bildungswesen und für verantwortliche Politikerinnen und Politiker nutzbar zu machen.

Wichtige Ergebnisse

Als Erfolgsfaktoren für das freiwillige Engagement bei der Integration von Geflüchteten in das Bildungssystem werden genannt:

1. Erkenntnisse für die Bildungseinrichtungen (Kita, Schule, Hochschule)

In der Zusammenarbeit mit den Hauptamtlichen bewährt sich:

  • eine klare Haltung und Akzeptanz der Rollenverteilung (Hauptamtliche als fachliche Expertinnen und Experten, Freiwillige als wichtige Helferinnen und Helfer), ein offener und vertrauensvoller Umgang,
  • das Etablieren eines regelmäßigen engen Austauschs mit den Freiwilligen in den Bildungseinrichtungen, wo sie zu Feedback ermuntert werden, ihnen aber auch die spezifischen inneren Regeln und Prozesse der Einrichtung nahegebracht werden,
  • eine gute Koordination sowie Aus- und Fortbildung der Freiwilligen,
  • neben einem zentralen Ansprechpartner oder einer Ansprechpartnerin auch fachliche Betreuerinnen und Betreuer aus den Reihen der Hauptamtlichen.

Bei der Koordination ist ein fester zentraler Ansprechpartner in jeder Bildungseinrichtung sinnvoll, der die Freiwilligen unter anderem in Empfang nimmt und koordiniert, sie einweist und Einsatzpläne erstellt, für die nötige Aus- und Fortbildung, aber auch für Anerkennung und Wertschätzung innerhalb der Einrichtung sorgt. Darüber hinaus sollten Bildungshelferinnen und -helfer mit Migrationshintergrund eingesetzt werden, die bereits gut in Deutschland integriert sind und die Werte sowie Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens vermitteln können.

Bei der Aus- und Fortbildung der Freiwilligen haben sich fünf Formate besonders bewährt: 1. Einführungsveranstaltung, 2. Ausstattung mit Informationsmaterial/Praxisleitfäden (von der Politik bereitgestellt), 3. regelmäßige Einzelgespräche mit hauptamtlichen Betreuerinnen und Betreuern, 4. regelmäßige Vernetzungstreffen mit anderen Freiwilligen, 5. bedarfsorientierte Fortbildungsveranstaltungen zu speziellen Themen, die auf Landes- oder kommunaler Ebene organisiert werden.

Die Regeln und Strukturen der Bildungseinrichtung im Bereich Kinder- und Jugendschutz sollten auf den Einsatz der Freiwilligen übertragen werden (Aushändigen der Verhaltensanweisungen, Anforderung eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses). Jede Einrichtung sollte ein Schutzkonzept umsetzen (Orientierung: Praxishandbuch des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung).

5. Den freiwillig Engagierten sollte Anerkennung und Wertschätzung zuteil werden. Das umfasst einen wertschätzenden Umgang im Arbeitsalltag, eine weitgehende Einbindung in alle Informationsprozesse bis hin zu einer regelmäßigen Anerkennungsveranstaltung, bei der die freiwilligen Helferinnen und Helfer sowie alle Hauptamtlichen der Bildungseinrichtung eingeladen werden. Auch eine Würdigung in den Medien der Bildungseinrichtung (zum Beispiel auf der Website oder im Jahrbuch) erweist sich als sinnvoll.

2. Erkenntnisse für die Politik:

Die Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen den Freiwilligen und den Hauptamtlichen muss vor allem in den Bildungseinrichtungen selbst erfolgen. Die Politik sollte dies dadurch befördern, dass sie die Bildungseinrichtungen bei der Koordination, der Aus- und Fortbildung sowie der Anerkennung und Wertschätzung der Freiwilligen unterstützt.

Neben den Vermittlungsstellen und Online-Plattformen in den Kommunen zur Vermittlung der Freiwilligen in die jeweiligen Bildungseinrichtungen bedarf es weiterer Koordinationsmaßnahmen. Wichtig sind qualifizierte zentrale Ansprechpartner in den Kommunen, zum Beispiel zur Vermittlung zu anderen Stellen oder als örtliche Erstanlaufstelle für alle Bildungseinrichtungen. Diese Aufgabe könnten die neuen Bildungskoordinatorinnen und -koordinatoren übernehmen, für die die Kommunen beim Bundesministerium für Bildung und Forschung eine Finanzierung beantragen können. Zudem sollten Bildungseinrichtungen bei Bedarf möglichst schnell und unbürokratisch Geld für zusätzliche Stellen bekommen, um dadurch die professionelle Betreuung von freiwillig Engagierten zu gewährleisten oder um ihre bestehenden hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilweise von ihren Aufgaben zu entlasten.

Bund, Länder und Kommunen können die Aus- und Weiterbildung der freiwillig Engagierten durch relativ kostengünstige, aufeinander abgestimmte Maßnahmen fördern:

  • Die Bundesregierung sollte fundierte Praxisinformationen bereitstellen, die für die Unterstützung von Flüchtlingen auf ihrem Bildungsweg wichtig sind, zum Beispiel Grundlagen zu flüchtlingsspezifischen und interkulturellen Themen, Umgang mit Traumatisierung, Lernen von Deutsch als Fremd- bzw. Zweitsprache, Lernmaterialien, Informationen zur Vermittlung von gesellschaftlichen Werten etc. – in mehreren Sprachen. Bisherige Ansätze sollten weiter ausgebaut und auf einer zentralen Website gebündelt und stärker verbreitet werden.
  • Die Länder könnten den freiwillig Engagierten kostenfreie Schulungen zur Arbeit mit Flüchtlingen im Bildungsbereich anbieten, beispielsweise über die Lehrerfortbildungsinstitute, Landeszentralen für politische Bildung und Hochschulen.
  • Die Kommunen könnten alle Bildungseinrichtungen vor Ort auf diese beiden Angebote aufmerksam machen, sodass sie wirklich bei allen freiwilligen Helferinnen und Helfern ankommen.

Die jeweiligen Aufsichtsbehörden sollten die Bildungseinrichtungen, für die sie zuständig sind, noch stärker dazu anhalten, den Kinder- und Jugendschutz kompromisslos ernst zu nehmen und hierfür ein umfassendes Schutzkonzept umsetzen.

Damit die freiwillig Engagierten auch in der breiteren Öffentlichkeit mehr Anerkennung und Wertschätzung bekommen, könnten ihnen die Politikerinnen und Politiker auf allen Ebenen von Bund, Land und Kommunen für ihre Arbeit danken – durch Vor-Ort-Besuche in den Bildungseinrichtungen und durch eigene Anerkennungsveranstaltungen, bei denen freiwillige Helferinnen und Helfer auch ausgezeichnet werden.