Nachhaltigkeit erzählen
- Handlungsfeld
- Bildung nachhaltige Entwicklung
- Politische Bildung
Thema
Möglichkeiten des Storytellings in der Nachhaltigkeitskommunikation
Herausgeberschaft
Daniel Fischer/Sonja Fücker/Hanna Selm/Anna Sundermann (Hg.)
Autoren/Autorinnen
Zahlreiche Autorinnen und Autoren
Erscheinungsort
2021
Erscheinungsjahr
München
Stiftungsengagement
Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Literaturangabe
Daniel Fischer/Sonja Fücker/Hanna Selm/Anna Sundermann (Hg.): Nachhaltigkeit erzählen. Durch Storytelling besser kommunizieren? Deutsche Bundesstiftung Umwelt, DBU-Umweltkommunikation Band 15, München: oekom, Gesellschaft für ökologische Kommunikation 2021.
Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise
Ausgangspunkt ist, dass eine große Herausforderung in der Nachhaltigkeitskommunikation darin besteht, die Komplexität der Themen verständlich an ein breiteres Publikum zu vermitteln, ohne dabei an Fachlichkeit und Evidenz zu verlieren. Die Themen sollten so aufbereitet und dargestellt werden, dass sie Interesse wecken, Alltagsbezüge aufweisen und möglichst konkrete Handlungsoptionen aufzeigen können. In der vorliegenden Publikation wird davon ausgegangen, dass Ansätze des Storytellings in der Nachhaltigkeitskommunikation das Potenzial besitzen, über Geschichten nicht nur Informationen zu transportieren und Probleme zu erklären, sondern auch Emotionen hervorzurufen und damit eine Nähe zwischen Zielgruppe und Thema herzustellen. Damit könnte eine wichtige Grundlage für verändertes Handeln der Menschen gelegt werden, um eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft zu unterstützen.
Im Journalismus würden bereits zahlreiche Storytelling-Ansätze umgesetzt, doch gebe es bisher nur wenige wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über die Wirkungen dieser Kommunikationsform.
Mit dem Projekt „Storytelling in der Nachhaltigkeitskommunikation – Evidenzen und Perspektiven“ (2017 bis 2020) wurden die Wirkmechanismen von Erzählformen des Storytellings in der Nachhaltigkeitskommunikation systematisch erforscht. In der Publikation werden die Ergebnisse des Forschungsprojekts zusammengefasst, die sowohl für den klassischen Journalismus als auch für die Bereiche der Wissenschafts- und Unternehmenskommunikation nutzbar sein sollen. Auf der Grundlage der empirischen Studienergebnisse werden dabei Einsatzmöglichkeiten, aber auch Grenzen des Storytellings beleuchtet und Wirkungszusammenhänge dargelegt.
Anders als bei kommerziellen Infomercials gehe es bei der Nachhaltigkeitskommunikation nicht um die Förderung kurzfristiger Kaufentscheidungen oder unreflektierter Handlungsveränderungen. Neben dem dramaturgischen Aufbau und dem Einsatz unterhaltsamer Elemente komme es vielmehr darauf an, Authentizität und Glaubwürdigkeit zu vermitteln, Transparenz und Vertrauen zu schaffen, die Identifikation mit dem Thema zu fördern und Handlungsoptionen aufzuzeigen. Im Nachhaltigkeitskontext gehe es eher um die Geschichte hinter dem Produkt, also beispielsweise um die Frage, mit welchem Ressourceneinsatz und unter welchen sozialen und ökologischen Bedingungen dieses Produkt hergestellt wurde, wie es genutzt, entsorgt oder in den Produktionskreislauf zurückgeführt wurde oder welchen Beitrag es zur Umweltentlastung leistet.
Die vorliegende Publikation widmet sich der zentralen Frage, wie Storytelling im Nachhaltigkeitskontext sowohl auf der inhaltlichen Ebene als auch auf der Haltungsebene als auch auf der handwerklichen Ebene gelingen kann.
Die zentrale Frage lautet:
- Wie können Nachhaltigkeitsthemen interessant und effektiv in verschiedenen Anwendungsfeldern kommuniziert werden?
Das Forschungsprojekt wurde von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt zwischen 2017 und 2020 gefördert und von der Arbeitsgruppe SuCo2 (Sustainable Consumption and Sustainable Communication) an der Leuphana Universität Lüneburg durchgeführt.
Wichtige Ergebnisse
Herausforderungen in der Nachhaltigkeitskommunikation
Die Autor*innen weisen darauf hin, dass es in den letzten zehn Jahren mehrere politische Impulse gab, um die Entwicklung zu einer nachhaltigen Gesellschaft voranzutreiben:
- 2011: Gutachten „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU): In diesem Gutachten werde festgestellt, dass geeignete Rahmenbedingungen für die Transformation in eine dekarbonisierte und klimaverträgliche Gesellschaft geschaffen werden müssen. Dafür bedürfe es eines neuen Zusammenspiels von gestaltendem Staat, Bürgergesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft sowie neuer Formen der Kommunikation und Bildung.
- 2015: Verabschiedung der Nachhaltigkeitsentwicklungsziele (SDGs) durch die Vereinten Nationen: Damit sei eine neue Phase in der internationalen Nachhaltigkeitspolitik eingeläutet worden. Die insgesamt 17 Ziele und 169 Zielvorgaben umfassende Agenda 2030 nehme alle Länder in die Verantwortung, zu einer globalen nachhaltigen Entwicklung beizutragen.
- 2017: Neuauflage der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, die sich inhaltlich an den SDGs orientiert: In Deutschland werden auf drei Ebenen Ziele benannt, die durch 63 Schlüsselindikatoren und Managementregeln spezifiziert werden. In der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie wird nach Ansicht der Herausgeber*innen der deliberative und prozedurale Charakter politischer Entscheidungsfindung, aber auch die Bürgerbeteiligung betont.
Nach Auffassung der Herausgeber*innen kennzeichnen diese drei Impulse den Umbau zu einer nachhaltigen Gesellschaft als Gemeinschaftswerk, das in hohem Maße die Aktivierung und Beteiligung der Zivilgesellschaft erfordert. Damit werde eine informierte Bürgergesellschaft gefordert, deren Mitlieder über das notwendige Wissen, die entsprechende Bereitschaft und die erforderlichen Kompetenzen zur Mitgestaltung am Umbau hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft verfügen. Zu einer solchen Mobilisierung bedürfe es laut WBGU neuer „Narrative des Wandels“, die über kreative Formen der Wissenschaftskommunikation so aufzubereiten sind, dass sie die Bürger*innen zur Mitgestaltung einer Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft befähigen und ermutigen.
Definition: Was ist Storytelling?
Im Buch wird „Storytelling“ als das Erzählen von Geschichten definiert, indem bestimmte Erzählstrukturen verwendet werden, um affektive, kognitive oder konative Auswirkungen bei Lesenden zu erzielen. Zu unterscheiden ist zwischen den Merkmalen von Geschichten („innere“ Merkmale der Story) und den Kontexten, in denen diese Geschichten eingesetzt und erzählt werden („äußere“ Merkmale des Storytelling).
Innere Merkmale:
- Inhalte (Fakten, Informationen) werden in eine Erzählform („Geschichte“) gebracht, die eine zeitliche Ordnung und in der Regel einen Anfang, eine Mitte und ein Ende (Chronologie) hat. Die zeitliche Ordnung muss dabei nicht immer linear sein (möglich sind auch Zeitsprünge etc.)
- Geschichten liefern Informationen über ein spezifisches zeitliches und räumliches Umfeld, in dem sie stattfinden.
- Zentralstes Merkmal ist die Handlung (Plot), die sich in der Regel auf zentrale Figuren (Personalisierung), Menschen oder andere Lebewesen bezieht.
- Im Mittelpunkt stehen Konflikte und Erfahrungen, die die Figuren in ihrem Handeln erleben. Diese entsprechen oft Mustern bzw. bestimmten Typologien von Handlungssträngen, die sich auf ein Leitprinzip beziehen (z.B. Abenteuer, Entdeckung, Flucht, Liebe, Transformation, Aufstieg und Fall). Jeder Handlungsstrang enthält seine eigene Verkettung von Ereignissen, spezifische Charakterkonfigurationen und ein bestimmtes Raum-Zeit-Gefüge (Dramaturgie).
- Weitere Merkmale sind medienspezifische Darstellungselemente, wie beispielsweise sprachliche, bildnerische oder musikalische Mittel, die dazu beitragen können, Spannung zu erzeugen und Emotionen zu wecken (Stilistik).
- Eine Geschichte kann auch unterschiedliche Grundtöne annehmen, die eine Stimmung transportieren und eine Atmosphäre erzeugen (Tonalität), z.B. ernst, humorvoll, beängstigend.
- Wenn das Publikum mit einer Botschaft zu einer bestimmten Sichtweise oder Haltung bewegt werden soll, kann die Geschichte einen überzeugenden Duktus annehmen und das Publikum mit rhetorischen und stilistischen Mitteln beeinflussen, insbesondere bei Geschichten mit moralischen Botschaften.
- Dagegen tendieren Ansätze, die Verständigungsprozesse fördern sollen, zu einer ausgewogenen und dialogorientierten Tonalität, indem sie beispielsweise Fragen aufwerfen oder konkurrierende Standpunkte darstellen.
- Die Tonalität in Geschichten wird oft mit verschiedenen Arten verbunden, das Publikum in die Geschichte einzubeziehen (Modalität), z.B. indem das Publikum mit Medieninhalten interagieren oder die Diskussion selbst steuern kann.
Äußere Merkmale:
- Setting (Ort, Schauplatz oder sozialer Kontext): Kontext, in dem das Storytelling zur Kommunikation mit einem Publikum eingesetzt wird, beispielsweise Journalismus und Wissenschaftskommunikation, formelle und informelle Bildung, Öffentlichkeitsarbeit.
- Medium: verschiedene Kommunikationsmittel, die im Storytelling eingesetzt werden, beispielsweise mündliches Geschichtenerzählen, Videos, soziale Medien wie Instagram.
- Thema: Inhalte werden auf eine bestimmte Art aufgegriffen und an ein Publikum kommuniziert.
Storytelling für Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeitsbezogenes Storytelling wird verstanden als ein Anwendungsfall der Nachhaltigkeitskommunikation und ihrer Zielsetzungen:
- aufklärerisch-bildend zu wirken und zugleich
- den gesellschaftlichen Wandel hin zu einer nachhaltigen Entwicklung zu befördern.
Wichtige Ergebnisse des Projekts „Storytelling in der Nachhaltigkeitskommunikation“
Nach Ansicht der Herausgeber*innen zeigen die Ergebnisse des Forschungsprojekts und die Beiträge aus den Praxisfeldern die wachsende Bedeutung des Werkzeugs „Storytelling“, aber auch die vielfältigen Herausforderungen in der wissenschaftlichen Fundierung und Anwendung von Storytelling in der Nachhaltigkeitskommunikation.
Verständnisse von Storytelling in der Nachhaltigkeitskommunikation
- Vor allem die beabsichtigten Wirkungen würden Storytelling für Nachhaltigkeitskommunikation interessant machen: Der Anspruch, bildend auf das Publikum zu wirken, sei mit einem aufklärerisch-emanzipatorischen Bildungsverständnis verwandt, wie es auch in der Bildung für nachhaltige Entwicklung diskutiert wird. Zugleich werde dieses Bildungsanliegen mit dem Ziel verknüpft, den gesellschaftlichen Wandel hin zu einer nachhaltigen Entwicklung voranzutreiben.
- In Bezug auf beide Anforderungen bedürfe es externer Bewertungskriterien, ob diese auch erfüllt werden.
- In vielen Praxisfeldern werde vor allem auf die Bildungswirkung von Storytelling abgezielt, indem Wissen zu Nachhaltigkeitsthemen auf neue Weise und für verschiedene Zielgruppen aufbereitet werden. Deutlich werde aber auch, dass konkrete Lösungen für Nachhaltigkeitsprobleme entwickelt und befördert werden können (Nachhaltigkeitswirkung) und zugleich Menschen zum Handeln animiert werden können (Bildungswirkung), wenn Nachhaltigkeitskommunikation mit einem konstruktiven Journalismus verbunden wird.
Wirkungen von Storytelling
- Die empirischen Ergebnisse des Projekts zeigen, dass es keine einfache Antwort darauf gibt, ob und wie Storytelling in der Nachhaltigkeitskommunikation wirkt. Es sind Unterschiede bei verschiedenen Zielgruppen festzustellen (z.B. bei Studierenden und Berufsschüler*innen). Es müsse immer im konkreten Fall darüber nachgedacht werden, wie viel Komplexität und welche Textarten für welche Zielgruppen geeignet sind.
- Es gibt Hinweise darauf, dass das Identifikationspotenzial der Hauptcharaktere eine entscheidende Rolle in der Wirkung des textbasierten Materials spielt.
- Storytelling in der Nachhaltigkeitskommunikation kann Lernprozesse initiieren („Entdecker“), Impulse für die Veränderung des eigenen Nachhaltigkeitshandelns setzen („Visionäre“) und Menschen dazu einladen, andere Menschen bzw. die Gesellschaft im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu mobilisieren („Aufklärer“).
- Ein weiteres Ergebnis lautet, dass nicht nur die Rezeption, sondern auch die Produktion von Storytelling in der Nachhaltigkeitskommunikation Wirkungen hervorruft (im Hinblick auf die Inhalts-, Haltungs- und Handlungsebene).
- Deutlich werden spezifische Wirkungen im Bereich der Hochschulbildung, der (internen) Unternehmenskommunikation und im Journalismus sowie in der Wissenschaftskommunikation.
Storytelling lernen, lehren und praktizieren
- Die empirischen Studien aus dem Projekt haben nach Ansicht der Herausgeber*innen gezeigt, dass Strategien zur Aufbereitung von Nachhaltigkeitswissen in Geschichten verschiedene Erwartungen und Bedürfnisse von Rezipierenden berücksichtigen müssen, insbesondere im Hinblick auf die Gewichtung von sachlichen und erzählerischen Inhalten. Zu vermeiden seien plakative Darstellungen, mit denen nur normative Deutungsangebote gemacht werden. Denn es sei deutlich geworden, dass dem positiven Einfluss des Storytelling in der Nachhaltigkeitskommunikation dann Grenzen gesetzt sind, wenn Themen und Informationen zu einseitig dargestellt werden, da sich die Rezipierenden dann in einer Weise beeinflusst sehen, die ihnen die Möglichkeit zur Entwicklung eigener Sichtweisen nimmt.
- Es gebe verschiedene Formen des Einsatzes von Storytelling in Lehr-/Lernkontexten, z.B. in der Hochschulbildung und Unternehmenskommunikation. Dafür brauche es jeweils geeignete Lehr-/Lernmaterialien, aber auch die entsprechende Kompetenz der Lehrenden und der Fähigkeit, Widerständen und Vorurteilen gegenüber Storytelling begegnen zu können.
Die Herausgeber*innen formulieren am Ende drei Thesen:
- These 1: Storytelling in der Nachhaltigkeitskommunikation könne auf vielfältige Weise die Ziele der Nachhaltigkeitskommunikation unterstützen, dürfe aber nicht auf Persuasion reduziert werden (also nicht nur den Fokus darauf richten, das Publikum zu überreden).
- These 2: Storytelling in der Nachhaltigkeitskommunikation könne bildend wirken, wenn das Lernen nicht auf Kosten der Unterhaltung geht und die Geschichte verschiedene Identifikationsangebote macht.
- These 3: Nachhaltigkeitskommunikation könne Storytelling nicht nur als Instrument nutzen, sondern selbst neue Formen des Storytellings hervorbringen.
Zugriff
Kostenpflichtige Publikation