Positionspapier

MINT-Bildung im Kontext ganzheitlicher Bildung

Thema

MINT-Bildung im Kontext ganzheitlicher Bildung

Herausgeberschaft

Nationales MINT Forum

Autoren/Autorinnen

Arbeitsgruppe „Ganzheitliche Bildung“ im Nationalen MINT Forum

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2014

Stiftungsengagement

Stiftungsmitglieder im Nationalen MINT Forum: Deutsche Telekom Stiftung, Gemeinnützige Hertie-Stiftung, Jacobs Foundation, Joachim Herz Stiftung, Körber-Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Siemens Stiftung, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, Stiftung Haus der kleinen Forscher, Wilhelm und Else Heraeus Stiftung; davon in der Arbeitsgruppe „Ganzheitliche Bildung“: Siemens Stiftung, Körber-Stiftung, Stiftung Haus der kleinen Forscher

Literaturangabe

Nationales MINT Forum (Hrsg.): MINT-Bildung im Kontext ganzheitlicher Bildung. Grundsatzpapier des Nationalen MINT Forums aus der Arbeitsgruppe „Ganzheitliche Bildung“. München 2014.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Das Nationale MINT Forum ist ein Zusammenschluss von überregional tätigen Organisationen – Stiftungen, Wissenschaftseinrichtungen, Fachverbände, Hochschulallianzen und andere Initiativen –, die sich für die Förderung der MINT-Bildung (Bildung in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) einsetzen. Die zusammengeschlossenen Organisationen stehen für die gesamte MINT-Bildungskette: von der frühkindlichen über die schulische, die berufliche und akademische Bildung bis hin zur Weiterbildung und zum lebenslangen Lernen) und bekennen sich zum Konzept ganzheitlicher Bildung. Gemeinsames Ziel ist es, durch Vernetzung und Kooperation die Wirkung der Initiativen einzelner Akteure zu verstärken, Synergien zu schaffen sowie die weitere Verbesserung der MINT-Bildung in Deutschland für die nachhaltig zu unterstützen.

Das Papier wurde von der Arbeitsgruppe „Ganzheitliche Bildung“ im Nationalen MINT Forum unter Leitung von Dr. Barbara Filtzinger (Siemens Stiftung) erarbeitet. Zur Arbeitsgruppe gehörten darüber hinaus: Prof. Dr. Dr.-Ing. Gunnar Berg (Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e.V. – Nationale Akademie der Wissenschaften), Johanna Coleman (Wissensfabrik – Unternehmen für Deutschland e.V.), Matthias Mayer (Körber-Stiftung), Prof. Dr. Manfred Prenzel (TUM School of Education; acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e.V.), Dr. Peter Rösner (ehemals Stiftung Haus der kleinen Forscher).

Wichtige Ergebnisse

Ausgangspunkt der Empfehlungen ist, dass MINT-Bildung eine grundlegende Vertrautheit mit der von Wissenschaft und Technik geprägten Welt und ein Bewusstsein für die sich daraus ergebenden globalen Herausforderungen schafft. Sie sei für demokratische Teilhabe notwendig und befördere eine Stärkung des sozialen Zusammenhalts. MINT-Bildung bedürfe dafür eines ganzheitlichen Ansatzes im Sinne einer kontinuierlichen und alle Lebensphasen übergreifenden MINT-Bildung.

Zehn Punkte werden für eine zukunftsfähige MINT-Bildung im Kontext ganzheitlicher Bildung benannt:

  1. MINT-Bildung sollte sich nicht auf die Förderung des Nachwuchses für MINT-Berufe beschränken, sondern alle Menschen mit wichtigen Aspekten der MINT-Fächer vertraut machen. Sie sei Teil der Allgemeinbildung und sollte eine Breitenförderung („MINT-Grundbildung für alle“) einschließen.
  2. Aufgabe einer breiten MINT-Grundbildung für alle Menschen sei es, sich der wissenschaftlich-technischen Prägung der Welt bewusst zu werden. Im Mittelpunkt sollten die Voraussetzungen, Bedingungen und Folgen des Einsatzes neuer Technologien stehen. Mathematische und naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Verfahren sowie digitale Kompetenzen seien aber auch wichtig für viele andere Fachwissenschaften.
  3. Um der „Angst“ oder dem „Desinteresse“ vieler Schülerinnen und Schüler vor MINT-Fächern wirksam zu begegnen, sollte auf vorschnelle Abstrahierung und Mathematisierung verzichtet werden. Sinnvoller sei, durch eine Verbindung von Alltagsphänomenen mit naturwissenschaftlichen Grundlagen und technischen Problemlösungen einen neuen Zugang zu MINT zu vermitteln.
  4. Schülerinnen und Schüler sowie Studierende sollten in fächerübergreifenden Ansätzen unterschiedliche Denkweisen kennenlernen und ausprobieren können. Dabei sei darauf zu achten, dass Fachspezifika nicht auf- oder abgewertet, sondern in ihren unterschiedlichen Stärken und Schwächen transparent vermittelt und mit gegenseitiger Wertschätzung behandelt werden. Interdisziplinäre Projekte könnten dann ihre Potenziale entwickeln, wenn die Stärken der fachspezifisch unterschiedlichen Sichtweisen zu einem großen Ganzen neu zusammengefügt werden.
  5. Als Vorteil aller MINT-Disziplinen wird gesehen, dass Aussagen über Sachverhalte streng empirisch überprüft werden können und allgemein akzeptierte Kriterien für das Bekräftigen oder Zurückweisen von theoretischen Vermutungen existieren. Durch die Beschäftigung mit den Naturwissenschaften könne gelernt werden, objektivierte, also intersubjektiv prüfbare Sachverhalte anzuerkennen und damit umzugehen. Die einzelnen MINT-Disziplinen seien durch besondere Zugänge gekennzeichnet: In der Mathematik und Informatik ist die Logik eine grundlegende Denkweise, die Naturwissenschaften können nur auf der Basis von Erfahrungen betrieben werden und in den Ingenieur- und Technikwissenschaften spielen Kriterien der Machbarkeit, Effektivität, Effizienz und Ethik eine wichtige Rolle. Das Lösen technologischer Probleme erfordere deshalb interdisziplinäres Wissen.
  6. Die Beschäftigung mit MINT-Inhalten unterstütze wichtige Haltungen und Einstellungen: Zum einen Offenheit und Staunen sowie (bezüglich der Gegenstände dieser Disziplinen) Genauigkeit und Ehrlichkeit. Zum anderen (im Zusammenhang mit der Deutung der beobachteten Phänomene) Faktenorientierung, Abstraktionsneigung, Objektivität und Rationalität. Diese Haltungen spielten im alltäglichen Umgang bei der Beurteilung von Sachverhalten und der eigenen Entscheidungsfähigkeit eine wichtige Rolle zur Entfaltung der Selbstwirksamkeit.
  7. Für die MINT-Bildung sei das Verständnis grundlegender Konzepte und Arbeitsweisen notwendig, doch seien auch „moderne“ Lehrinhalte altersgemäß zu behandeln und zu erweitern. Ein Ziel von MINT sei häufig die Anwendung, sodass es ethischer Abwägungen bedürfe, um die Grenzen des Einsatzes abzustecken. Da diese nicht aus den MINT-Inhalten abgeleitet werden können, würden sich diese Fachrichtungen für interdisziplinäre Lehrinhalte anbieten.
  8. Für eine tragfähige Bildung sei nicht nur der frühe Zugang zu MINT notwendig, sondern auch die Unterstützung eines kumulativ angelegten Lernens im Bereich der formalen und nicht-formalen Bildung über die gesamte Bildungskette (lebenslanges Lernen). Hier gelte es insbesondere, Anschlussfähigkeit über Bildungsetappen zu gewährleisten und die Voraussetzungen für ein selbstständiges Lernen über die gesamte Lebensspanne zu schaffen.
  9. Kinder und Jugendliche in Deutschland zeigen beträchtliche Unterschiede im Wissen und Verständnis von MINT, die mit der sozialen und regionalen Herkunft, dem Geschlecht und dem Migrationsstatus zusammenhängen. Diese Disparitäten seien Hinweise auf unterschiedliche Chancen für eine umfassende Allgemeinbildung und speziell für eine vertiefte MINT-Bildung, die mit schlechteren Berufsperspektiven und geringeren Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe verbunden sind. Jeder Mensch sollte ein gleiches Recht auf qualifizierte MINT-Bildung haben: Deshalb müssten die Bildungseinrichtungen und -initiativen auf unterschiedliche kognitive und motivationale Lernvoraussetzungen reagieren und ihre Angebote so gestalten, dass alle Teilnehmenden vergleichbare Lernfortschritte erzielen können. Im Schulbereich habe man in den letzten Jahren zwar gewisse Fortschritte erreichen können (zum Beispiel bei der Reduzierung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern und der Abschwächung der Kopplung von Herkunft und MINT-Bildung), doch seien nach wie vor beträchtliche Disparitäten festzustellen. Insbesondere die Unterschiede zwischen den Bundesländern in der Qualität der MINT-Bildung erforderten politische Maßnahmen und Konzepte einer flächendeckenden Qualitätsentwicklung.
  10. Auf wichtige Fragen der Gegenwart (zum Beispiel in Bezug auf Energieversorgung, Datensicherheit, Gentechnologie) könnten zwar technische Antworten regional begrenzt gefunden und umgesetzt werden, doch entstünden dadurch häufig Konsequenzen für die ganze Welt. Aufgrund der Vielfalt wirtschaftlicher, religiöser, kultureller und sozialer Kontexte fänden spezifische technische Lösungen nur in unterschiedlicher Weise Akzeptanz. Im Rahmen einer ganzheitlichen MINT-Bildung gehe es deshalb auch um eine Sensibilisierung für unterschiedliche kulturelle und soziale Sichtweisen.