Fachpublikation

Kinder zwischen Chancen und Barrieren

Thema

Zusammenarbeit zwischen Kita und Familie

Herausgeberschaft

Bertelsmann Stiftung (Hg.)

Autoren/Autorinnen

Tanja Betz/Stefanie Bischoff-Pabst/Nicoletta Eunicke/Britta Menzel

Erscheinungsort

Gütersloh

Erscheinungsjahr

2019

Stiftungsengagement

Bertelsmann Stiftung

Literaturangabe

Tanja Betz/Stefanie Bischoff-Pabst/Nicoletta Eunicke/Britta Menzel: Kinder zwischen Chancen und Barrieren. Band 1. Zusammenarbeit zwischen Kita und Familie: Perspektiven und Herausforderungen. Forschungsbericht 1. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung 2019.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Hintergrund ist, dass die Bereiche Familie und Kita in den ersten Lebensjahren die zentralen Lebenswelten von Kindern sind. Deshalb sollte darauf hingewirkt werden, dass Familie und Kita zum Wohl des Kindes eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft eingehen und gut zusammenarbeiten.

In der Studie stehen folgende Fragen im Mittelpunkt:

  • Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Kita und Familie? Was passiert an den vielfältigen Schnittstellen?
  • Welche Vorstellungen und Wünsche haben Eltern und Fachkräfte mit Blick auf die Zusammenarbeit?
  • Unter welchen Rahmenbedingungen im Kita- und im Familienalltag kann und muss das Verhältnis zueinander gestaltet und gelebt werden?
  • Welche Rolle spielen dabei die Kinder?
  • Welche Chancen, aber auch welche Barrieren entstehen für sie durch den Kontakt und die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Familie und Kita?

Dabei wird der Fokus insbesondere auf die Frage gerichtet, wie die Zusammenarbeit aller Beteiligten zu fairen Bildungschancen beitragen kann.

Begriffsklärung „Zusammenarbeit“:

Die Autorinnen wollen nicht vorab wissenschaftlich definieren oder programmatisch festlegen, was Zusammenarbeit zwischen Kita und Familie ist oder sein soll. Deshalb wird der Begriff im Forschungsbericht in einfache Anführungsstriche gesetzt. Damit soll verdeutlicht werden, dass es darum geht, die unterschiedlichen Perspektiven der Akteure auf ‚Zusammenarbeit‘ zur Geltung zu bringen und die Interaktionsprozesse in der Praxis zwischen Fachkräften und Eltern zu betrachten und offenzulegen. Auf diese Weise wollen sich die Autorinnen einem empirisch fundierten Verständnis von Zusammenarbeit annähern.

Die ‚Zusammenarbeit‘ wird in drei Bereichen betrachtet:

1. Erfassen der ‚Zusammenarbeit‘ zwischen Familie und Kita als multiperspektivisches und multidimensionales Konzept auf drei Ebenen:

  • Vorstellungen der Akteure (am Beispiel Bildungs- und Erziehungspartnerschaft),
  • Erleben und Erfahrungen der Akteure mit der ‚Zusammenarbeit‘,
  • situative Praxis der alltäglichen Gestaltung des Kontakts.

2. Differenz und Ungleichheitsreproduktion in der ‚Zusammenarbeit‘ im Hinblick auf

  • zentrale Differenzkategorien mit Blick auf Eltern und Familien,
  • zentrale Differenzkategorien in den erlebten Passungen, Spannungen und Konflikten der Akteure,
  • Selbstpositionierungen von Eltern vor dem Hintergrund unterschiedlicher sozialer Positionen.

3. Exkurs: Kinder in der ‚Zusammenarbeit‘ zwischen Kita und Familie

  • Wie gestalten Kinder das Verhältnis Kita – Familie mit?
  • Welche Vorstellungen und Erfahrungen haben Eltern und Fachkräfte zum Einbezug von Kindern in Eltern-Fachkraft-Gespräche?

Zur Methode:

Für die Studie beobachteten Prof. Dr. Tanja Betz von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und ihre Kolleginnen über ein Jahr hinweg den Alltag in vier Kitas in sozial unterschiedlich gut situierten Stadtteilen. Darüber hinaus führten sie zahlreiche Interviews und Gespräche mit Fachkräften, Kita-Leitungen und Eltern zum Thema Zusammenarbeit zwischen Kita und Familie. Dadurch möchten sie einen empirischen Einblick in die tägliche Ausgestaltung der Schnittstellen zwischen Kita und Familie gewinnen. Für die Sekundäranalyse wurde auf leitfadengestützte Interviews mit Eltern und Fachkräften aus der EDUCARE-Studie zurückgegriffen (Betz/Bischoff 2016).

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Kinder zwischen Chancen und Barrieren“ werden in zwei Abschlussberichten dargestellt. Der hier vorliegende Band 1 beschäftigt sich mit der Zusammenarbeit zwischen Familie und Kita und nimmt in erster Linie die Perspektiven der erwachsenen Akteure – Fachkräfte und Eltern – in den Blick. In Band 2 wird die Zusammenarbeit zwischen Familie und Grundschule empirisch untersucht.

Wichtige Ergebnisse

Wichtige Ergebnisse

Die Befunde der Studie zeigen, dass Eltern und Fachkräfte vielfältige Wünsche in Bezug auf die Zusammenarbeit zwischen Kita und Familie und auch sehr verschiedene Perspektiven auf das Thema haben. Zudem formulieren die Beteiligten unterschiedliche Herausforderungen.

Herausforderungen aus Sicht der Fachkräfte

  • Schlechte Rahmenbedingungen: In vielen Kitas führen schlechte Rahmenbedingungen (z.B. Personalmangel, zu wenig Zeit und hohe Arbeitsbelastung) dazu, dass ein kontinuierlicher Vertrauensaufbau und eine gute Zusammenarbeit mit den Eltern erschwert wird.
  • Mangelnde Sprachkenntnisse: Nicht alle Eltern verfügen über ausreichende Deutschkenntnisse, die aber für die Kommunikation in aller Regel Voraussetzung sind; dafür müssen die Fachkräfte kreative, aber oftmals auch sehr zeitintensive Lösungen finden.
  • Gesellschaftliche Vorbehalte und Stereotype: Defizitäre Bilder von vermeintlich „sozial schwachen“ oder „bildungsfernen“ Familien sind oft eine schwer zu überwindende Hürde für ein gutes Miteinander. Hier spiegeln sich im Kita-Alltag in Teilen auch gesellschaftliche Vorbehalte und Stereotype der öffentlichen Debatte.

Herausforderungen aus Sicht der Eltern

Eltern formulieren sehr heterogene Vorstellungen im Hinblick auf die Formen und die Intensität der Zusammenarbeit mit der Kita:

  • Austausch und Tipps: Manche Eltern wünschen sich einen intensiven Austausch und Erziehungstipps, während andere Eltern solche Tipps als unangemessene Belehrung empfinden.
  • Interesse und Intensität des Engagements: Einigen Eltern fehlt aufgrund ihrer Berufstätigkeit die Zeit, sich in der Kita stärker einzubringen, manche betrachten ein Engagement nicht als unbedingt notwendig oder sie beteiligen sich nicht, weil sie Sprachbarrieren wahrnehmen oder sich eine Beteiligung im Elternrat oder ähnlichen Mitwirkungsgremien in der Kita nicht zutrauen. Andere Eltern wollen möglichst viel über den Kita-Alltag und ihre Kinder erfahren oder sich selbst gerne in die Kita einbringen oder helfen – gerade angesichts der oft schwierigen Personalsituation.

Rolle und Wünsche der Kinder in der ‚Zusammenarbeit‘

Nach den Ergebnissen der Studie kennen die meisten Erwachsenen die Wünsche der Kinder in Bezug auf die Zusammenarbeit von Familie und Kita nicht. Kinder würden aber Informationen und Botschaften übermitteln und auch bewusst versuchen, Fachkräfte oder Eltern für ihre eigenen Interessen zu gewinnen und diese in der Zusammenarbeit durchzusetzen.

Aus den Beobachtungen und Interviews sei deutlich geworden, dass die Kooperation der Erwachsenen nicht automatisch zum Wohl der Kinder erfolge. Vielmehr komme es vor, dass sich Eltern und Fachkräfte gerade in Bring- und Abholsituationen auch verbünden, um sich bisweilen gegen den deutlich artikulierten Wunsch eines Kindes durchzusetzen.

Insgesamt würden die Ergebnisse der Studie darauf hinweisen, dass die Gestaltung der Schnittstellen zwischen Familie und Kita eine anspruchsvolle und herausfordernde Aufgabe für alle Beteiligten ist. Sie erfordere einen ständigen Dialog und Aushandlungsprozesse, damit die unterschiedlichen Wünsche und Vorstellungen bearbeitet werden können. Zudem müssten die Lebens- und Arbeitskontexte sowohl von Fachkräften als auch Familien mitbedacht und kulturelle wie soziale Unterschiede reflektiert werden.

Schließlich sollte die bisherige (Nicht-)Beteiligung von Kindern in der Zusammenarbeit von Familie und Kita künftig stärker in den Blick genommen werden, um ihren Beitrag in der Zusammenarbeit sichtbar zu machen, aber auch mehr und andere Formen der Mitwirkung von Kindern zu ermöglichen.

Um allen Kindern eine Chance auf gutes Aufwachsen und faire Bildung zu eröffnen, ist es nach Ansicht der Wissenschaftlerinnen unabdingbar, intensiv und zugleich reflektiert und ausgewogen darüber zu diskutieren, wie das Verhältnis zwischen Kita und Familie genau gestaltet sein sollte. Der Wunsch bzw. das Ziel einer – auf den ersten Blick sehr harmonisch und einfach klingenden – Bildungs- und Erziehungspartnerschaft allein reiche nicht aus. Vielmehr müssten die unterschiedlichen Perspektiven aller Beteiligten und insbesondere die notwendigen Rahmenbedingungen für gute pädagogische Arbeit in den Blick genommen werden. Für eine kultur- und ungleichheitssensible Arbeit an den Schnittstellen von Familien und Kita, die auch die Perspektiven der Kinder mitberücksichtigt, seien bestimmte Voraussetzungen in den Kitas unverzichtbar: eine ausreichende Ressourcenausstattung, gute Personalschlüssel, Zeit für Gespräche und Reflexion sowie entsprechende Aus- und Weiterbildungsangebote.