Fachpublikation

Flucht und Schule

Thema

Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen ins Schulsystem

Herausgeberschaft

Burkhard Jungkamp/Marei John-Ohnesorg (Friedrich-Ebert-Stiftung)

Autoren/Autorinnen

Michael Voges/Nora von Dewitz/Ingrid Gogolin/Gabriele Romig/Gudrun Schreier/Diemut Severin/Siegfried Arnz/Anne Muras

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2016

Stiftungsengagement

Friedrich-Ebert-Stiftung

Literaturangabe

Burkhard Jungkamp/Marei John-Ohnesorg (Hrsg.): Flucht und Schule. Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen. Schriftenreihe des Netzwerk Bildung, Friedrich-Ebert-Stiftung. Berlin 2016.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass die sprachliche, kulturelle und soziale Integration ohne Bildung nicht gelingen kann und der Schule dabei eine Schlüsselfunktion zukommt. Die Publikation dokumentiert die verschiedenen Beiträge einer Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Im Mittelpunkt der Diskussion stand das Thema der schulischen Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen. 

Die zentrale Frage lautete: Wie stellt sich die gegenwärtige Situation dar und wie können die Weichen für eine gelingende Integration gestellt werden?

Wichtige Ergebnisse

In den Beiträgen der Konferenz wird die schulische Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen vor dem gesellschaftspolitischen Hintergrund der gestiegenen Flüchtlingszahlen seit 2015 betrachtet: Einerseits zeige sich gegenüber den Geflüchteten eine „Willkommenskultur“ und bürgerschaftliches Engagement in vielfältigen Unterstützungsformen, andererseits sei aber auch eine Zunahme rechter Gewalt und ein Rechtsruck in der europäischen Politik festzustellen.

Letztlich werde an der Frage der Integration Geflüchteter in das Bildungssystem darüber entschieden, ob sich Deutschland zukünftig als Einwanderungsland verstehen wird und welchen Werten sich die deutsche Gesellschaft verpflichtet fühlt: Ob das Bild von Gesellschaft, das sich auch in den Schulen wiederfindet und gelebt wird, pluralistisch, liberal und demokratisch ist – oder totalitär, intolerant und nationalistisch.

Knapp ein Drittel der Asylsuchenden sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die sich im Hinblick auf Migrationsursachen, Herkunftsländer, Sprachkenntnisse, Bildungserfahrungen, Lebens- und Familiensituationen stark unterscheiden. Da jedoch alle Kinder und Jugendlichen den gleichen Anspruch auf Bildung und Qualifikation haben, haben die Bundesländer Willkommensklassen, Vorbereitungsklassen und DaZ-Zentren (Deutsch als Zweitsprache) eingerichtet. Die Organisationsformen zeigen große Unterschiede in Bezug auf Zugangsvoraussetzungen und die Aufnahme in den Regelunterricht. Deutlich wird, dass es bisher noch kaum schulrechtliche Vorgaben für die Integration von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen in das Schulsystem gibt. Hier besteht offenbar Handlungsbedarf in den Bundesländern.

Eine Grundannahme lautet: Wenn sich Deutschland als Einwanderungsland versteht, müssen Strukturen zur Integration neu Zugewanderter flächendeckend zum Regelsystem gehören. In klassischen Einwanderungsländern wird meist eine zusätzliche Sprachförderung mit einer frühen Einbindung der zugewanderten Schülerinnen und Schüler in den Regelunterricht kombiniert. In der Beschulungspraxis in Deutschland zeigt sich jedoch in manchen Bundesländern eine Renaissance separater Beschulung in Vorbereitungsklassen für Geflüchtete ohne Deutschkenntnisse.

Diese exklusive Beschulung sei mit dem Ziel einer inklusiven Schule nicht zu vereinbaren, so ein zentrales Ergebnis der Konferenz: Zum einen haben sich die Bundesländer zum Aufbau eines inklusiven Schulsystems verpflichtet, zum anderen sei es fraglich, ob eine exklusive Sprachförderung tatsächlich die besten Bildungs- und Entwicklungschancen bietet.

Weitere Ergebnisse lauten:

  • Das Erlernen der deutschen Sprache ist ein wichtiger Schlüssel zur Integration, doch muss die große Bedeutung der Mehrsprachigkeit viel stärker als bisher berücksichtigt werden. Dieses Thema sollte auch in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften eine große Rolle spielen: Es wäre wichtig, Sprachförderung als Aufgabe aller Lehrkräfte in allen Fächern zu begreifen.
  • Für eine erfolgreiche Lernentwicklung der Schülerinnen und Schüler muss auch nach dem Übergang in den Regelunterricht eine qualifizierte Begleitung sichergestellt werden. Darüber hinaus brauchen die Eltern Orientierung und Unterstützungsangebote. Hier könnten Integrationshelfer und Integrationshelferinnen an Schulen einen wichtigen Beitrag leisten.
  • Sozialpädagogische und schulpsychologische Fachkräfte sollten zum festen Bestandteil multiprofessioneller Teams aller Schulen gehören, da viele geflüchtete Kinder und Jugendliche traumatische Erfahrungen gemacht haben. Für Lehrkräfte sollten Netzwerke zum Austausch und zur Supervision eingerichtet werden.
  • Notwendig wären niedrigschwellige Angebote im Hinblick auf geeignete Lernmaterialien. Es müssen auch neue Lehrmaterialien erstellt werden, um den Bedürfnissen geflüchteter Kinder und Jugendlicher gerecht zu werden. Besonders geeignet wären Open Educational Ressources, weil sie individuell eingesetzt und flexibel angepasst werden können. Die Lehrmaterialien sollten kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Zudem müssen für die geflüchteten Kinder und Jugendlichen informelle Lerngelegenheiten geschaffen und ein uneingeschränkter Zugang zu Ganztagsangeboten eröffnet werden.
  • Die Heterogenität der Geflüchteten macht es notwendig, dass flexible Lösungen für einen Einstieg in die berufliche Bildung gefunden werden, die sich am Einzelfall ausrichten sollten. Die bisher aufgelegten Programme müssten entsprechend überarbeitet werden.
  • Die Herausforderungen, die mit der nachhaltigen Integration von Geflüchteten ins Bildungssystem verbunden sind, können nur bewältigt werden, wenn Bund, Länder, Kommunen und Wirtschaft gemeinsam handeln und zusammenarbeiten: Bildung ist eine integrative Gesamtaufgabe.