Exit statt Voice: Vorzeitige Lösung von Ausbildungsverträgen in der dualen Berufsausbildung
- Handlungsfeld
- Wirtschaft
- Bildungsabschnitt
- Berufliche Bildung
Thema
Ausbildungsabbruch
Autoren/Autorinnen
Harald Wolf
Erscheinungsort
Göttingen
Erscheinungsjahr
2016
Stiftungsengagement
Vodafone Stiftung Deutschland
Literaturangabe
Harald Wolf: Exit statt Voice. Vorzeitige Lösung von Ausbildungsverträgen in der dualen Berufsausbildung. Eine Studie des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen, gefördert von der Vodafone Stiftung Deutschland. Endbericht. Göttingen 2016.
Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise
Hintergrund ist, dass jedes jahr bundesweit etwa ein Viertel aller beruflichen Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst wird. Zugleich können aufgrund einer abnehmenden und sich wandelnden Nachfrage im dualen Berufsausbildungssystem viele Ausbildungsplätze nicht mehr besetzt werden. Dies stellt ein Problem dar, zumal für die Zukunft ein weiter steigender Fachkräftemangel in der Wirtschaft prognostiziert wird.
Um die Ursachen der vorzeitigen Vertragslösung zu analysieren, wurde vom Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) an der Georg-August-Universität eine Studie durchgeführt: Im gesamten Bundesgebiet wurden 23 Ausbildungsbegleiterinnen und -begleiter (hauptsächlich Sozial- oder Berufspädagoginnen und -pädagogen) an zwölf Standorten in qualitativen, leitfadengestützen Experteninterviews befragt. Ausbildungsbegleiterinnen und -begleiter können in dieser Frage als Expertinnen und Experten gelten, da sie die Aufgabe haben, sozial benachteiligte Jugendliche in Ausbildung zu vermitteln, gefährdete Ausbildungsverhältnisse zu stabilisieren und dadurch vorzeitige Vertragsauflösungen zu verhindern.
Wichtige Ergebnisse
Festgestellt wird, dass eine vorzeitige Lösung eines Ausbildungsvertrags für den Einzelnen mit negativen Folgen verbunden ist. Dazu gehören Demotivation, das Empfinden des Scheiterns und ein unsicherer Ausbildungsabschluss.
Darüber hinaus setzen sich damit aber auch vorhandene soziale Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem fort. Die Vertragslösungsquote in der beruflichen Ausbildung differiert stark nach Schulabschlüssen und sozialer Herkunft: Auszubildende aus bildungsfernen Elternhäusern brechen fast drei mal so oft ihre duale Ausbildung ab wie Kinder aus Akademikerhaushalten. Jugendliche mit Hauptschulabschluss und Jugendliche mit Migrationshintergrund haben eine mehr als doppelt so hohe Vertragslösungsquote wie Studienberechtigte.
Auch ökonomisch betrachtet sind vorzeitige Vertragsauflösungen problematisch: Bei Betrieben besteht die große Gefahr, dass investierte Ressourcen entwertet werden und erhebliche Kosten entstehen.
Ursachen für Vertragslösungen aus Sicht der Ausbildungsbegleiterinnen und -begleiter:
- Risikokonstellation Kleinbetrieb: Ein kleiner Betrieb wird oft nicht als Lernort, sondern als Arbeitsort empfunden. Zudem herrschen dort oft stark hierarchische und personalisierte Arbeitsbeziehungen vor.
- Sozialisationsphase Ausbildung: Jugendliche befinden sich in der Phase der Rollenfindung und sind durch neue Verhaltensanforderungen und den Wechsel von schulischem zu betrieblichem Lernen oft überfordert.
- Baustelle Kommunikation: Als problematisch erweist sich eine mangelnde Gesprächskultur im Betrieb sowie Probleme bei der offenen Meinungs- und Interessenartikulation.
Ein wesentliches Ergebnis lautet, dass die Mehrzahl instabiler Ausbildungsverhältnisse und vorzeitiger Vertragsauflösungen durch mangelnde oder misslungene Kommunikation gekennzeichnet ist.
Als vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung von Vertragslösungen aus Sicht der Ausbildungsbegleiterinnen und -begleiter werden benannt:
- Unterstützung von Schulabgängerinnen und -abgängern: Besonders wichtig wäre die Vermittlung von soft skills (Fähigkeit zum Formulieren und Kommunizieren eigener Probleme und Interessen, Umgang mit Konflikten, Aufbau von Selbstbewusstsein, Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz), aber auch eine professionelle und individuelle Berufsorientierung, die eine realistische Erwartungshaltung der Schülerinnen und Schüler befördert.
- Unterstützung für Auszubildende und Betriebe: Dazu gehört die Beförderung eines investitionsorientierten Selbstverständnisses als Ausbildungsbetrieb (Ausbildung als Investition in die „Humankapital“-Bildung eines jungen Menschen), aber auch die regionale Bündelung von ausbildungsbezogenen Dienstleistungen in einer zentralen Informations- und Beratungsstelle sowie die Dauereinrichtung und -finanzierung ausbildungsbezogener Beratungs- und Begleitungsmaßnahmen zur Vermeidung von vorzeitigen Vertragslösungen.
- Unterstützung für Betriebe: Notwendig wäre eine Versachlichung und Professionalisierung der Ausbilderrolle. Das schließt eine bessere Qualifizierung sowie eine verpflichtende, regelmäßige Weiterbildung des Ausbildungspersonals ein, vor allem zu Kommunikationsfähigkeiten und im Umgang mit Konflikten.
Zugriff