Digitalisierungsstrategien im föderalen Schulsystem
- Handlungsfeld
- Digitale Transformation
- Bildungsabschnitt
- Schulische Bildung/Schulbildung
Thema
Lernförderliche IT-Strukturen und schulische Lernplattformen
Autoren/Autorinnen
Andreas Breiter/Mariele Müller/Lea Telle/Anja Zeising
Erscheinungsort
Bremen
Erscheinungsjahr
2021
Stiftungsengagement
Deutsche Telekom Stiftung
Literaturangabe
Institut für Informationsmanagement Bremen GmbH (ifib): Digitalisierungsstrategien im föderalen Schulsystem: Lernmanagementsysteme und ihre Betriebsmodelle. Umsetzungsstand in den Bundesländern und in ausgewählten Großstädten. Studie im Auftrag der Deutsche Telekom Stiftung. Bremen 2021.
Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise
Ausgangspunkt ist, dass die Coronapandemie das Lernen mit digitalen Medien in den Fokus der öffentlichen Diskussion gerückt hat. Während der Schulschließungen seien viele Lehr- und Lernprozesse sowie organisatorische Abläufe mithilfe digitaler Lernplattformen durchgeführt worden. Je nach Zuschnitt hätten diese Systeme ein breites Leistungsspektrum und seien mit neuen Möglichkeiten der Unterrichtsgestaltung, der Zusammenarbeit von Lehrkräften oder der Schulorganisation und -verwaltung verbunden. Dazu könnten ergänzend auch Angebote externer Anbieter, etwa Videokonferenzsysteme, Lernsoftware oder Messengerdienste, in die Systeme eingebunden werden.
In der Studie wird untersucht, welche Potenziale die verschiedenen Lernplattformen haben, die die Bundesländer und auch einige Kommunen nach und nach aufgebaut haben. Die Publikation soll eine Orientierung über die im Schulwesen vorhandenen IT-Infrastrukturen mit dem Fokus auf Lernmanagementsysteme gegeben werden. Welche Betriebskonzepte stehen dahinter? Und wie stark unterscheiden sich die Lösungen voneinander?
Die Deutsche Telekom Stiftung hat das Institut für Informationsmanagement an der Universität Bremen (ifib) unter Leitung von Professor Dr. Andreas Breiter beauftragt, diesen und weiteren Fragen nachzugehen. Das Ergebnis ist eine Bestandsaufnahme der IT-Strategien der Bundesländer und fünf deutscher Großstädte (Dortmund, Düsseldorf, Dresden, Frankfurt und Köln) für ihre Schulen. Sie liefert nicht nur einen aktuellen Überblick über die derzeit genutzten Lösungen, sondern erstmals auch ein Modell, das alle Teile eines Lernmanagementsystems (LMS) systematisiert und so den Vergleich verschiedener Ansätze erleichtern soll. Das eigens entwickelte Modell benennt einerseits die eingesetzten Lernplattformen, integrierte oder angebundene Dienste sowie digitale Lerntools, und stellt andererseits kategorisierend die vorhandenen Lösungsansätze für die Beschaffung und den Betrieb dar. Das Modell soll ein Strukturierungsvorschlag sein, der nach Ansicht der Wissenschaftler*innen trotz technologischem Fortschritt und der Weiterentwicklung der strategischen Ansätze weiterhin Bestand haben kann.
Die ifib-Forscherinnen und Forscher haben dafür Informationen der Kultusministerien und Kommunen analysiert, teilweise auch von Landesinstituten oder Medienzentren, und sie Produkteinordnungen anhand von Anbieterinformationen vorgenommen. Außerdem führte das ifib-Team leitfadengestützte Interviews mit Ansprechpersonen aus Kultusministerien und Städten durch. Autor*innen der Publikation sind Prof. Dr. Andreas Breiter, Mariele Müller, Lea Telle und Dr. Anja Zeising (ifib).
Wichtige Ergebnisse
Ein Modell für schulische Lernplattformen
Unterschied Lernmanagementsystem – Lernplattform
- Lernmanagementsystem (LMS) bezeichnet in der Studie die Gesamtheit der zur Verfügung stehenden Plattformen, Dienste, Softwarelösungen, Lerntools und Bildungsmedien, die die inhaltliche und organisatorische Arbeit sowie die Kollaboration im pädagogischen Schulbetrieb für Lehrkräfte, Schüler*innenschaft und ggf. weitere Akteurinnen und Akteure maßgeblich unterstützt.
- In Abgrenzung dazu bezeichnet der Begriff Lernplattform den Kern des Systems und enthält die zentralen Funktionen für das Lernen mit digitalen Medien und das kollaborative Arbeiten. Auch sind andere Komponenten des LMS meistens über die Lernplattform zugänglich.
Anforderungen an Lernmanagementsysteme im Kontext lernförderlicher IT-Infrastrukturen
- Als zentrale Herausforderung wird benannt, eine IT-Infrastruktur für die Unterstützung von Lern- und Lehrprozessen einschließlich eines LMS bereitzustellen, die noch keine konkrete didaktische Konzeption oder Nutzungsform festlegt, sondern dies den Lehrenden und Lernenden ermöglicht. Grundsätzlich könnten bei den IT-Systemlandschaften die Systemkomponenten sowie passende Modalitäten für Beschaffung und Betrieb zu unterschieden werden. Folgende grundsätzliche Anforderungen müssten die Systeme erfüllen:
- Alltagstauglichkeit: einfache Gestaltung für die Nutzer*innen, ISO 9241 zur Usability,
- Barrierefreiheit: Zugänglichkeit für alle Menschen, auch mit Einschränkungen (obligatorisch gemäß BGG und den LGG in Verbindung mit der BITV),
- Informationssicherheit: Gewährleistung der Verfügbarkeit, Sicherung der Integrität und Authentizität der Daten, Ausfallsicherheit, Absicherung vor unerlaubten Zugriff; Prozessstandards gemäß BSI, CISIS12, ISO 27001,
- Datenschutzkonformität: Einhaltung der Regelungen der DSGVO, Gewährleistung von technisch-organisatorischen Maßnahmen,
- Interoperabilität: Gewährleistung des Zusammenspiels, insbesondere den Datenaustausch, mit anderen IT-Systemen, z.B. Mediendienste oder Lerntools,
- Skalierbarkeit: Anpassbarkeit bezüglich des Ressourcenbedarfs bei wachsender Anzahl von Nutzer*innen bzw. gleichzeitigen Verbindungen, Anfragen und Uploads,
- Erweiterbarkeit und Änderbarkeit: Möglichkeit, bestehende Module zu ändern, herauszulösen oder neue Module zu integrieren.
Länder und Kommunen nutzen unterschiedliche Konzepte für den Aufbau und Betrieb von Lernplattformen. Das ifib-Team teilt in seiner Bestandsaufnahme die Betriebskonzepte in drei Kategorien ein:
- Plattformen, die frei verfügbare und veränderbare Software nutzen, eigene Anpassungen zulassen und dann überwiegend in eigenen Rechenzentren gehostet werden,
- Plattformen, die frei verfügbare Standardlösungen nutzen; die Anpassungen erfolgen meistens in Zusammenarbeit mit dem Anbieter, das Hosting im eigenen Rechenzentrum oder beim Anbieter,
- Plattformen, die Standardlösungen kommerzieller Anbieter nutzen und von diesen überwiegend auch betrieben und gehostet werden.
Für eine Systematisierung der verschiedenen Plattformlösungen hat das ifib ein Modell entwickelt, das eine möglichst einfache schematische Darstellung der jeweils umfangreichen unterschiedlichen IT-Infrastruktur- und -Servicelandschaften erlaubt. Mit diesem Modell wird die Plattformlösung jedes Bundeslandes und jeder betrachteten Großstadt einzeln abgebildet. Mit einer weiteren farblichen Kodierung wird darin auch das gewählte Betriebskonzept der Plattform und der Dienste dargestellt. Das Modell ist sich an zukünftige Weiterentwicklungen der einzelnen Systeme anpassbar.
Technische Vielfalt und praktische Umsetzung
Im länderübergreifenden Detailvergleich zeigt sich nach Ansicht der Forscher*innen eindrücklich, wie viele Möglichkeiten es bei der Ausgestaltung lernförderlicher IT-Infrastrukturen gibt, und ebenso, wie viele Aspekte es dabei zu berücksichtigen gilt. Diese Vielfalt werde nach ihrer Einschätzung auch fortbestehen: Es sei nicht zu erwarten, dass sich in absehbarer Zukunft eine bundesweit einheitliche Lösung durchsetzen wird. Dazu seien die verschiedenen Lösungen schon zu fest etabliert. Dies treffe zum einen auf Bundesländer zu, die schon früh damit begonnen hätten, IT-Strukturen aufzubauen, oftmals mit sehr hohem Aufwand. Zum anderen gelte es in anderen Bundesländern auf der Ebene vieler Kommunen, die eigene Lösungen entwickelt haben, als es für sie noch keine Landesangebote gab. Hier könnte auch die kommunale Selbstbestimmung einem Eingriff von außen entgegenstehen. Gegen eine Vereinheitlichung bis auf Schulebene sprächen zudem die oftmals höchst individuellen Anforderungen vor Ort.
Schlussfolgerungen
Die Telekom-Stiftung zieht daraus den Schluss, dass Vielfalt vertretbar ist, wenn gemeinsame Grundstrukturen existieren. Eine bundesweit für alle Schulen einheitliche IT-Infrastruktur werde es nach den Ergebnissen der Studie voraussichtlich nicht geben – dafür seien die Entwicklungen in einzelnen Ländern und Kommunen zu weit fortgeschritten. Unabdingbare Voraussetzung für den erfolgreichen Umgang mit Lernplattformen seien allerdings funktionierende Schnittstellen für Aufgaben, wie zum Beispiel die Nutzerverwaltung oder die Verwendung digitaler Schulbücher. Gemeinsame Standards und einheitliche Schnittstellen würden Medienbrüche vermeiden, aber auch zum Beispiel Schulwechsel deutlich vereinfachen. In anderen Politikbereichen seien solche Standards und Schnittstellen bereits verfügbar und erleichterten dort die länderübergreifende Zusammenarbeit.
Eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche Systeme sei eine Unterstützung für Pädagogik und Technik: Damit Lehrkräfte und Schüler*innen die IT-Infrastruktur ihrer Schule gewinnbringend für ihre jeweiligen Aufgaben einsetzen können, bräuchten sie verlässliche Unterstützung. Ein professionell aufgestelltes IT-Servicemanagement für jede Schule sei daher unerlässlich. Ebenso wichtig sei die pädagogische Unterstützung beim Umgang mit den Lernplattformen. Diese könne über gezielt dafür ausgebildete Multiplikator*innen im Kollegium geleistet werden oder über Spezialist*innen wie Educational Technologists, die in Zukunft selbstverständlich zu einem multiprofessionellen Kollegium gehören sollten. Doch auch mit der besten pädagogischen Unterstützung bleibe die Gestaltung von Unterricht in der Verantwortung der Lehrkräfte. Deshalb müssten vor allem auch sie in ihrer Aus-, Fort- und Weiterbildung Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien und der Didaktik erwerben und erweitern. Hier seien Wissenschafts- und Kultusministerien gefordert, die sich die Verantwortlichkeiten in der Lehrerbildung teilen.
Auch müsse Bürokratie abgebaut werden: Ein Grund für den nach Meinung der ifib-Expert*innen insgesamt sehr zögerlichen Ausbau lernförderlicher IT-Infrastrukturen für Deutschlands Schulen liege in zahlreichen Verwaltungsvorgaben, etwa im Vergaberecht, im aufwendigen Berichtswesen und in Dokumentationspflichten. Besonders hinderlich seien die unterschiedlichen Zuständigkeiten, darunter die Trennung in innere und äußere Schulangelegenheiten. Dies führe zum Beispiel dazu, dass die Verantwortung für Ausstattung und die Verantwortung für Unterricht in verschiedenen Händen liegen. Deutlich effizientere Strukturen, Richtlinien und Verantwortlichkeiten sollten das Ziel sein.