Digital mobil im Alter
- Handlungsfeld
- Digitale Transformation
- Bildungsabschnitt
- Aus- und Weiterbildung
Thema
Digitale Kompetenzen von älteren Menschen
Herausgeberschaft
Telefónica Deutschland Holding AG/Stiftung Digitale Chancen
Erscheinungsort
München/Berlin
Erscheinungsjahr
2017
Stiftungsengagement
Stiftung Digitale Chancen
Literaturangabe
Telefónica Deutschland Holding AG/Stiftung Digitale Chancen (Hrsg.): Digital mobil im Alter. So nutzen Senioren das Internet. München/Berlin 2017.
Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise
Ausgangspunkt der Publikation ist, dass rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung die Möglichkeiten der digitalen Medien nicht nutzen, darunter viele ältere Menschen. Die Herausforderungen auf dem Weg zu einem „Internet für alle“ hätten sich in den letzten 15 Jahren sehr verändert: Am Anfang habe vor allem der technische Zugang zum Internet im Vordergrund gestanden. Inzwischen sei das Internet in alle Bereiche des Lebens vorgedrungen und sehr viel leichter zugänglich. Digitale Inklusion erfordere heute vor allem Kompetenzen bei der Nutzung digitaler Anwendungen, insbesondere Medienkompetenz.
Mit dem Projekt „Digital mobil im Alter“ setzen sich Telefónica und die Stiftung Digitale Chancen seit 2012 dafür ein, Senioren und Seniorinnen an die digitale Welt heranzuführen. Mithilfe von qualifizierten Unterstützungsmaßnahmen soll dieser Zielgruppe vor allem die Nutzung von Tablets im Alltag nähergebracht werden, damit sie im Alter aktiv und mobil bleiben können. Wichtig ist dabei, dass auf dem Weg in die zunehmend digitale Gesellschaft nicht alle Menschen über die gleichen Voraussetzungen verfügen. So sind viele ältere Menschen zwar grundsätzlich offen gegenüber digitalen Technologien eingestellt und auch bereit, Neues zu lernen, doch werden sie häufig von zahlreichen technologischen Hürden abgeschreckt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat die Schirmherrschaft über die Stiftung Digitale Chancen übernommen und verschiedene Projekte zur Digitalen Integration unterstützt.
Dazu gehört auch das Projekt „Tablet-PCs für Seniorinnen und Senioren“, das die Stiftung Digitale Chancen gemeinsam mit Telefónica Deutschland/E-Plus entwickelt hat. Ziel ist die Heranführung der älteren Generation an das Internet. Unter fachkundiger Begleitung haben Senioren und Seniorinnen im Rahmen dieses Projekt die Möglichkeit erhalten, Tablet-PCs auszuprobieren, Erfahrungen mit der Nutzung des Internets zu sammeln und sich so über die damit verbundenen Chancen und möglichen Probleme ein eigenes Urteil zu bilden.
Anhand einer Studie sollten sowohl die Chancen als auch die Hindernisse für Seniorinnen und Senioren bei der Nutzung von digitalen Medien ermittelt werden. Dazu wurden in Zusammenarbeit mit verschiedenen Senioreneinrichtungen in vier deutschen Städten rund 300 älteren Menschen für insgesamt acht Wochen Tablet-PCs mit bereits installierten Applikationen (Apps) zur Verfügung gestellt. Ergänzt wurde dies durch ein medienpädagogisches Begleitangebot. Vor und nach der Ausleihe wurden die Teilnehmenden zu ihren Erwartungen und Erfahrungen befragt. Im Gegensatz zu bereits vorliegenden Studien wurde der Schwerpunkt auf die Gratifikationen (Belohnungen) gelegt, die die Nutzung von digitalen Medien bieten kann, sowie auf das Nutzungsverhalten während der Ausleihphase.
Die Stichprobe ist zwar nicht repräsentativ, doch waren unter den Teilnehmenden sowohl Frauen wie Männer unterschiedlichen Alters mit unterschiedlichen Bildungsabschlüssen vertreten. Frauen sind in der Studie allerdings überrepräsentiert, da sie häufiger Senioreneinrichtungen aufsuchen als Männer. In Bezug auf das Alter waren 5 Prozent der Teilnehmenden unter 60 Jahren, 27 Prozent zwischen 60 und 69 Jahren, 51 Prozent zwischen 70 und 79 Jahren und 17 Prozent über 80 Jahre. Im Rahmen der Studie wurden von Mai 2016 bis Mai 2017 insgesamt 30 Senioreneinrichtungen in Berlin, Düsseldorf, Hamburg und München acht Wochen lang mit jeweils bis zu 20 Tablet-PCs mit Internetzugang ausgestattet.
Telefónica stellte dafür die Infrastruktur (Tablet-PCs und eine kostenlose Datenflatrate) zur Verfügung, während die Stiftung Digitale Chancen Ausleihe und Begleitung organisierte. Die Stiftung Digitale Chancen engagiert sich für die Förderung der digitalen Teilhabe, und zielt insbesondere darauf, den Ausschluss benachteiligter Bevölkerungsgruppen von der Entwicklung zur Informationsgesellschaft zu verhindern sowie auf die Erhöhung der Medienkompetenz in allen gesellschaftlichen Gruppen hinzuwirken. Der Telekommunikationsanbieter Telefónica hat sich zum Ziel gesetzt, auch Senioren und Seniorinnen für die digitalen Möglichkeiten zu begeistern und ihre digitalen Kompetenzen nach den individuellen Bedürfnissen im digitalen Lebensalltag zu stärken.
Im Rahmen des Projektes wurde eine wissenschaftliche Begleituntersuchung durchgeführt. Unter der Leitung des wissenschaftlichen Direktors der Stiftung Digitale Chancen, Prof. Dr. Herbert Kubicek, ist eine Studie entstanden, die es ermöglicht, das Angebot zur Förderung der Medienkompetenz speziell für Senioren und Seniorinnen gezielt weiterzuentwickeln.
Wichtige Ergebnisse
Nach den Ergebnissen vieler Studien wird das Internet bisher deutlich mehr von jüngeren als von älteren Menschen aktiv genutzt. Doch bietet das Internet auch älteren Menschen viele Chancen. Um mehr Älteren den Weg in die digitale Welt zu erleichtern, bedarf es detaillierter Erkenntnisse und gezielter Angebote.
Die zentralen Befunde und Schlussfolgerungen der Studie lauten:
1. Das Alter beeinflusst die Nutzungsinhalte nicht direkt.
Digitale Anwendungen werden von Teilnehmenden aller Altersgruppen in Anspruch genommen. Die vorhandenen Unterschiede in der Häufigkeit der Nutzung einzelner Anwendungen begründen sich durch andere Merkmale, die zwar grundsätzlich mit dem Alter zusammenhängen, bei den Menschen aber in einem unterschiedlichen Lebensalter eintreten, beispielsweise geringere Mobilität aufgrund körperlicher Beschränkungen oder Gedächtnisprobleme.
Künftig sei es deshalb wichtig, Barrieren der Internetnutzung stärker zu berücksichtigen bzw. abzubauen.
2. Das Internet unterstützt die Mobilität.
Ältere Menschen können mithilfe des Internets in der analogen Welt länger und besser mobil bleiben, vor allem durch mobilitätsbezogene Anwendungen (Fahrpläne, Karten/Navigation, Online-Warenbestellung). Besonders interessant ist nach den Ergebnissen der Studie, dass es hier keine geschlechtsbezogenen oder altersbezogenen Unterschiede gibt. Erst in der Altersgruppe ab 80 Jahren nimmt die Nutzung dieser Möglichkeiten ab.
Das Tablet kann als Gedächtnisstütze und beim Erhalt der Mobilität dienen, sodass Hemmnisse der physischen Mobilität zumindest teilweise verbessert werden können. Menschen mit starken körperlichen Einschränkungen und/oder wenigen sozialen Beziehungen würden durch ein Tablet in der analogen Welt allerdings auch nicht notwendigerweise mobiler.
Die Vermeidung von Einsamkeit und Isolation ist ein zentrales Ziel präventiver Altenarbeit. Hier könnte die Digitalisierung einen wichtigen Beitrag leisten, indem ältere Menschen zunehmend an der Digitalisierung teilhaben und auf diesem Weg ihre Mobilität verbessern. Dafür müssten zum einen die bestehenden Möglichkeiten des mobilen Internets bekannter gemacht und zum anderen spezifische Angebote für diese Altersgruppe attraktiver gestaltet werden. Ein positives Beispiel ist zum Beispiel das Projekt „Mobile Age“, in dessen Rahmen eine Gruppe älterer Menschen mit Unterstützung einen digitalen Stadtteilführer für ihre Altersgruppe entwickelt hat. So könnten altersgerechte Inhalte durch Beteiligung der Zielgruppe entwickelt werden.
3. Die Entwicklung sollte von niedrig- zu höherschwelligen Angeboten gehen.
Seniorinnen und Senioren vermeiden bei der Nutzung tendenziell die Eingabe persönlicher Daten, abgesehen von der E-Mail-Nutzung. Ältere Menschen nutzen das Internet hauptsächlich zur Informationssuche, Navigation oder für Spiele. Angebote, die eine Registrierung erfordern, wie zum Beispiel Online-Shops, werden dagegen am Anfang eher gemieden. Das Gleiche gilt für die Möglichkeit, eigene Blogs zu erstellen. Die Registrierung erweist sich als eine hohe Schwelle: Anwendungen, bei denen man ein Konto einrichten, sich registrieren und bei jeder Nutzung wieder neu anmelden muss, stellen speziell für viele ältere Menschen in mehrfacher Hinsicht ein Hemmnis dar. Insbesondere ältere Menschen mit Gedächtnisproblemen möchten diese Art von Herausforderung und Risiko nur ungern eingehen. Das Sicherheitsrisiko von E-Mail-Programmen wird im Vergleich zum Online-Banking aber als relativ gering eingeschätzt.
Die Differenz im Umgang mit niedrig- und höherschwelligen Angeboten stellt für die Vermittlung von Medienkompetenz und damit für die digitale Inklusion eine Herausforderung dar. Höherschwellige Anwendungen
eröffnen in der Regel mehr Teilhabechancen. Hier bestehe die Notwendigkeit, geeignete Vermittlungswege zu untersuchen und zu erproben.
4. Digitale Kompetenz braucht Selbstvertrauen.
Ein zentraler Unterschied zwischen der jüngeren und der älteren Generation im Umgang mit digitalen Medien liegt in der Einschätzung von Risiken. Zwar sehen beide Gruppen Risiken bei der Nutzung digitaler Anwendungen, doch scheinen sich Jüngere eher zuzutrauen, mit diesen Risiken umgehen zu können, ohne auf die Nutzung ganz oder teilweise verzichten zu müssen. Ein wesentlicher Grund für die unterschiedliche Nutzung digitaler Medien wird in einem unterschiedlich ausgeprägten Selbstvertrauen im Umgang mit Problemen an sich und somit auch mit dem Internet vermutet (DIVSI 2016).
In der Studie zeigt sich ein Zusammenhang zwischen der Nutzung von Online-Shops und dem Bildungsabschluss. Akademisch gebildete Teilnehmende geben häufiger an, Waren online zu bestellen als solche ohne Hochschulabschluss.
Internetbezogene Angebote sollten einen Fokus darauf legen, das Selbstvertrauen im Umgang mit dem Internet und die Problemlösungskompetenzen der Senioren und Seniorinnen zu stärken. Selbstvertrauen komme mit dem Üben: Ältere Menschen müssten Gelegenheit bekommen, den Online-Einkauf praktisch – und mehrfach – zu trainieren. Die Überwindung der Scheu, ein Online-Konto einzurichten oder Online-Shops zu nutzen, bedürfe jedoch weiterer Maßnahmen, vor allem Aufklärung über vorbeugende Maßnahmen und Informationen zu Kundenrechten. Insgesamt gelte: Um Barrieren bei höherschwelligen Angeboten zu überwinden, reiche technische Unterstützung nicht aus. Hier müssten noch gezielt zusätzliche Angebote entwickelt werden.
5. Die Förderung digitaler Kompetenz sollte bei Gratifikationen ansetzen.
Medien- und digitale Kompetenzen werden als Schlüssel zur Verringerung der Alterslücke in der digitalen Welt betrachtet. Doch mangele es oft an gerade an der Vermittlung. Nach den Ergebnissen der Studie können ältere Menschen nicht in erster Linie mit den Vorteilen eines Facebook-Accounts motiviert werden, sondern mit Anwendungen, die ihnen direkt Vorteile bringen und mit Gratifikationen verbunden sind.
Internetkurse für Senioren und Seniorinnen sollten sich deshalb nicht auf die Nutzung bestimmter Geräte (etwa in einem Tablet-Kurs) oder das Internet allgemein (Internet für Senioren/Einsteigerkurs) konzentrieren, sondern vielmehr auf einzelne Gratifikationen eingehen, etwa:
- Kontakt mit der Familie und Freunden und Freundinnen: E-Mail, WhatsApp, Skype
- Erweiterung und Aktualisieren des Wissens: Online-Lexika, Online-Fernsehen, Zeitungen lesen
- Unterhaltung und Zeitvertreib: Online-Spiele, Spiele-App
Vorurteile könnten dann am ehesten revidiert werden, wenn konkret erlebt wird, wie ein konkretes Bedürfnis befriedigt oder ein bestimmtes Ziel erreicht werden kann. Wichtig sei jedoch, dass ältere Menschen in derselben Zeit weniger Informationen als Jüngere verarbeiten und deshalb mehr Zeit zum Üben brauchen.
6. Es werden mehr individuelle Angebote zur Unterstützung benötigt.
Viele Seniorinnen und Senioren, die am Projekt teilnahmen, kamen nach eigenen Angaben ohne Probleme mit dem Tablet-PC zurecht. Doch fast die Hälfte hatte Schwierigkeiten bei bei der Tabletnutzung, vom Einschalten des Geräts über die Internetverbindung bis hin zur Navigation. Deutlich wurden auch unspezifische Orientierungsprobleme im Umgang mit dem Gerät und dem Internet, die in der Regel nicht über eine Hotline gelöst werden können. Die Lösung solcher Probleme bedürfe vielmehr eines intensiven Gesprächs. Somit sollten Unterstützungsangebote für Menschen eingerichtet werden, die nicht an einem Kurs teilnehmen oder die in ihrem Umfeld niemanden haben, den sie bei solchen Problemen kontaktieren können oder wollen, etwa Kinder oder Enkel. Notwendig sei der Aufbau einer Unterstützungsinfrastruktur, vor allem Sprechstunden, in denen individuelle und unspezifische Probleme im Dialog geklärt und Lösungen aufgezeigt und eingeübt werden können. Dafür könnten bestehende Angebote, etwa Senioren-Computer-Clubs, ausgebaut und Beratungsstellen und Hilfsmöglichkeiten auffindbarer gemacht werden.
Ansatzpunkte für eine inklusive Digitalisierungspolitik
Laut wissenschaftlicher Auswertung hat das Projekt gezeigt, dass technische und bedienungsbezogene Hemmnisse der Internetnutzung von Seniorinnen und Senioren mithilfe von Tablet-PCs überwunden werden können. Damit diese Altersgruppe aber auch das notwendige digitale Selbstvertrauen erlangt, bedürfe es längerfristiger Schulungen und spezifischer Begleitangebote. Es müssten aber auch finanzielle Probleme überwunden werden: Viele Projektteilnehmende berichteten, dass sie sich von ihrer Rente und vor allem von der Grundsicherung keinen Tablet-PC inklusive Vertrag für den Internetzugang leisten können. Neben geeigneten Unterstützungsmodellen müssten somit auch Finanzierungsmodelle geschaffen werden, damit sich ältere Menschen ein eigenes Gerät leisten oder den digitalen Einstieg mit einem Leihgerät unter professioneller Anleitung schaffen können.
Die Autorinnen und Autoren der Studie fordern deshalb inklusive Digitalisierungsstrategien auf kommunaler, Länder- und Bundesebene. Ein wichtiger Ansatzpunkt seien die Senioreneinrichtungen. Hier könnte das Projekt „Schulen ans Netz“ Vorbild sein, bei dem Telekommunikationsunternehmen und Ministerien vor etwa zwei Jahrzehnten damit begonnen haben, Schulen mit Internetanschlüssen und Computern auszustatten und somit die Grundlage für eine bessere Medienkompetenz von Schülerinnen und Schülern zu schaffen. Mit dem gleichen Ansatz könnten Förderprogramme für Senioreneinrichtungen unter dem Motto „Senioren ans Netz!“ gestartet werden. Wenn Träger von Senioreneinrichtungen eine qualitativ gute Betreuung sowie eine ausreichende WLAN-Ausstattung sicherstellen, könnte ein Set von Leih-Tablets ein großer Schritt auf dem Weg zu digitaler Inklusion sein. Der Staat sollte sich an der Finanzierung der betreuenden Infrastruktur beteiligen.
Damit eine dauerhafte Nutzung und aktive Teilhabe älterer Menschen an der zunehmend digitalisierten Welt sichergestellt werden kann, wäre ein zweites Bündel staatlicher Unterstützung notwendig: Zu prüfen wäre, Tablet-PCs in die Liste der im Rahmen der Pflegeversicherung finanzierten technischen Hilfsmittel einzubeziehen.
Die Verkleinerung der digitalen Alterslücke biete nicht nur Chancen für die Senioren und Seniorinnen, sondern für die Gesellschaft allgemein. Dabei sei wichtig, dass unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen gemeinsam zusammenwirken, um gezielt digitale Inklusion für alle Bevölkerungsgruppen zu leisten.