Studie

Das Ideal der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft

Thema

Zusammenarbeit zwischen Kindertageseinrichtungen, Grundschulen und Familien

Herausgeberschaft

Bertelsmann Stiftung

Autoren/Autorinnen

Tanja Betz

Erscheinungsort

Gütersloh

Erscheinungsjahr

2015

Stiftungsengagement

Bertelsmann Stiftung

Literaturangabe

Tanja Betz: Das Ideal der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft. Kritische Fragen an eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Kindertageseinrichtungen, Grundschulen und Familien. Hrsg. v. Bertelsmann Stiftung. Gütersloh 2015.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt der Studie ist, dass die Zusammenarbeit zwischen Kindertageseinrichtungen, Grundschulen und Familien in den vergangenen Jahren in der öffentlichen und fachlichen Diskussion nahezu ausschließlich positiv besetzt erscheint und eine verstärkte Kooperation dieser Akteure gefordert wird, unter anderem in den Bildungs- und Erziehungsplänen der Länder. Im Mittelpunkt steht dabei das Konzept der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft, das eine partnerschaftliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit fordert.

In der Studie stellt die Autorin Prof. Dr. Tanja Betz (Fachbereich Erziehungswissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt am Main) kritische Fragen an die aktuelle Debatte und die Forderungen nach einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Kindertageseinrichtungen, Grundschulen und Familien, insbesondere vor dem Hintergrund des Ideals einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft sowie den Standards einer guten Zusammenarbeit mit Familien („Family-School Partnerships“ der amerikanischen Parent-Teacher-Association).

Wichtige Ergebnisse

In der Studie werden die Ziele und Hintergründe der Forderungen nach verstärkter Zusammenarbeit deutlich. Dazu gehören erwartete Kompetenz- und Leistungsverbesserungen der Kinder, die Möglichkeit der zielgerichteten Beeinflussung der (Persönlichkeits-)Entwicklung der Kinder und die Stärkung der Elternkompetenzen. Erklärtes Ziel ist es, insbesondere benachteiligten Kindern bessere Bildungschancen zu eröffnen.

Zur Unterfütterung der Argumente für eine verstärkte Zusammenarbeit werden in der Debatte empirische Belege aus sehr unterschiedlichen Kontexten herangezogen, die sich aber nach genauerer Prüfung nach Auffassung der Autorin als nicht belastbar herausstellen. Sie benennt verschiedene Standards einer guten Zusammenarbeit und damit verbundene Schwierigkeiten.

1. Mit Kooperation zum Erfolg – Partnerschaft auf Augenhöhe: Eine gute Zusammenarbeit zeigt sich gemäß diesem Standard daran, dass alle Eltern als gleichwertige Partner der Fach- und Lehrkräfte angesehen werden. Problematisch ist nach Auffassung der Autorin unter anderem, dass damit

  • professionelle Fach- und Lehrkräfte auf dieselbe Ebene mit „pädagogischen Laien“ – den Eltern – gestellt werden, was in Widerspruch zur Professionalisierungsdebatte stehe,
  • den Eltern eine Vorstellung von „guten Eltern“ und der „richtigen“ Förderung und Erziehung der Kinder vermittelt werde, was mit einer Normierung von Elternschaft einhergehe,
  • Status-Unterschiede als Teil der gesellschaftlichen Machtverhältnisse in der Zusammenarbeit reproduziert werden.

2. Machtteilung – angemessener Einbezug in alle Belange und Entscheidungen: Eltern und Fach- und Lehrkräfte sollen nach diesem Standard gemeinsam und gleichberechtigt in allen institutionellen Belangen agieren. Dabei gerät laut Autorin zum Beispiel aus dem Blick,

  • dass Eltern und Professionelle in einem anderen Verhältnis zum Kind stehen (unterschiedliche Rollen, Interessen und emotionale Bindungen),
  • dass die Eltern nur sehr begrenzte Mitwirkungsmöglichkeiten in den Bildungsinstitutionen haben und keine wirkliche Machtteilung erreicht wird: die Mitwirkung von Eltern erstreckt sich in der Regel nicht auf das Kerngeschäft (wie Unterricht, pädagogischer Alltag in Kindertageseinrichtungen).

3. Eltern als Fürsprecher für jedes Kind: Dieser Standard zielt darauf ab, Eltern dazu zu befähigen und darin zu bestärken, für alle Kinder gute Lern- und Entwicklungsbedingungen einzufordern. Dazu liegen in Deutschland noch sehr wenig Forschungsbefunde vor, der empirische Nachweis müsse erst noch erbracht werden, so die Autorin.

4. Herausforderungen einer Willkommens- und Wohlfühlkultur: Dieser Standard guter Zusammenarbeit umfasst sowohl räumliche Aspekte (etwa ein ansprechend gestalteter Eingangsbereich oder Treffmöglichkeiten für Eltern), als auch die kommunikative und emotionale Ebene. Alle Eltern sollen sich als Teil der Schul- oder Kindertageseinrichtungsgemeinschaft wohl und wertgeschätzt fühlen. Dafür wäre es nach Ansicht der Autorin aber notwendig, sich stärker mit den Haltungen, Orientierungen, Einstellungen und Deutungsmustern von Müttern und Vätern unterschiedlicher Herkunft auseinanderzusetzen, um zu erkennen, wodurch sie sich willkommen und wohl fühlen. Eine solche Betrachtung fehle bisher aber noch weitgehend.

5. Eine intensive und effektive Kommunikation: Der kontinuierliche und intensive Austausch zwischen Professionellen und Eltern ist ein weiterer Standard guter Zusammenarbeit. Zu problematisieren ist laut Autorin hier,

  • dass Eltern oft als „homogene Gruppe“ begriffen werden und ihre Unterschiedlichkeit nicht berücksichtigt werde, etwa ihre verschiedenen Auffassungen über die Rolle und Verantwortung der Eltern und der Kindertageseinrichtung oder Schule,
  • dass die Intensität des Austausches und der Zusammenarbeit auch von den aktuellen Lebensumständen und der jeweiligen Biografie der Eltern abhängt, etwa von Erfahrungen in und mit Institutionen, aber auch der Beherrschung der Sprache.

In keinem Fall sollte bei der Zusammenarbeit von Eltern als einer homogenen Gruppe ausgegangen werden. Insofern könne es auch keine einheitlichen Qualitätsmerkmale der Zusammenarbeit für alle Eltern geben.

Fazit

Die Autorin kommt zu dem Ergebnis, dass in der Debatte um die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Kindertageseinrichtungen, Grundschulen und Familien zu viele Herausforderungen und Probleme ausgeblendet werden. Das Bild der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft suggeriere eine „Win-win-Situation“ für die Bildungsinstitutionen und die Familien, doch stünden tatsächlich vor allem die Institutionen und deren Vertreterinnen und Vertreter im Mittelpunkt. Entsprechend sei die Zusammenarbeit primär auf reibungslose Abläufe im Unterricht bzw. im Alltag der Kindertageseinrichtungen ausgerichtet. Im Diskurs werde zwar nahezu durchgängig mit dem Wohl des Kindes argumentiert, doch spielten Kinder weder konzeptuell noch empirisch eine Rolle. Vielmehr würden Kinder tendenziell zu Objekten der Zusammenarbeit.

Notwendig wäre daher aus Sicht der Autorin, die Perspektive der Kinder sowohl in die Debatte als auch in die Konzepte aufzunehmen. Es müsse darüber diskutiert werden, was eine gute Zusammenarbeit zwischen Fach- und Lehrkräften und Eltern zum Wohle der Kinder ausmacht. Dabei sei zu bedenken, dass es auch kein absolutes Kriterium für das Wohl des Kindes geben kann.

Erforderlich sei somit eine empirische Erforschung der Perspektiven von Müttern und Vätern, der Fach- und Lehrkräfte und der Kinder. Diese verschiedenen Blickwinkel müssten sowohl vor dem Hintergrund der jeweiligen familialen Rahmenbedingungen, wie beispielsweise eingeschränkten finanziellen oder zeitlichen Ressourcen, aber auch den institutionellen Rahmenbedingungen untersucht werden. Der (empirische) Blick wäre dabei auch auf die Ausstattung, die Ressourcen und Rahmenbedingungen für das pädagogische Handeln zu richten.