Expertise

Chancen guten Ganztags für Kinder im Grundschulalter: menschenrechtliche Perspektiven

Thema

Kinderrechtskonforme Ausgestaltung des Ganztags in der Grundschule

Herausgeberschaft

Bertelsmann Stiftung (Hg.)

Autoren/Autorinnen

Friederike Wapler

Erscheinungsort

Gütersloh

Erscheinungsjahr

2020

Stiftungsengagement

Bertelsmann Stiftung

Literaturangabe

Friederike Wapler: Chancen guten Ganztags für Kinder im Grundschulalter: menschenrechtliche Perspektiven. Hg. v. Bertelsmann Stiftung. Gütersloh 2020.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass Kinder und Jugendliche Träger aller Grund- und Menschenrechte sind – ein Grundsatz, der auch in der Schule und in außerschulischen Betreuungseinrichtungen gilt.

Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um ein Rechtsgutachten, dessen Grundlage der menschenrechtliche Rahmen für die Ausgestaltung des Ganztagsbetriebs für Kinder im Grundschulalter ist. Die Darstellung konzentriert sich auf das zentrale Menschenrechtsdokument, das Kinder betrifft: die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (KRK). Ergänzend wird auf die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BRK) eingegangen, die wichtige Konkretisierungen vor allem der Gleichheitsrechte von Kindern enthält und durch die Forderung nach einem inklusiven Bildungssystem die schulrechtliche und schulpolitische Debatte in Deutschland nachhaltig prägt. Bildungsrechte finden sich darüber hinaus auch in anderen völkerrechtlichen Übereinkommen, auf die punktuell hingewiesen wird.

In dem Gutachten wird ausgelotet, welche völkerrechtlichen Vorgaben in Deutschland bei der Ausgestaltung der Ganztagsgrundschule gelten.

Die Schule wird aus mehreren Gründen als ein zentraler Bereich für die Verwirklichung von Kinderrechten betrachtet: Der Staat ist einerseits verpflichtet, die Rechte von Kindern in der Schule zu achten, darf sie also nicht durch eigenes Handeln bzw. das seiner Bediensteten verletzen. Zum anderen hat der Staat in der Schule nicht nur die Pflicht, sondern auch die Chance, Kindern zu ihrem Recht zu verhelfen, also die Bedingungen dafür zu schaffen, dass Kinder ihre Menschenrechte umfassend und gleichberechtigt genießen können. Die Grund- und Menschenrechte gelten in der Schule unabhängig davon, ob sie als Halbtags- oder Ganztagsangebot ausgestaltet ist.

2018 hat die Bundesregierung die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz für Kinder im Grundschulalter ab dem Jahr 2025 angekündigt, der im Sozialgesetzbuch VIII verankert werden soll.

Begleitend zu diesem Gesetzesvorhaben haben Arbeiterwohlfahrt Bundesverband, Bertelsmann Stiftung, Robert Bosch Stiftung und Stiftung Mercator das Arbeitsbündnis „Rechtsanspruch guter Ganztag“ gegründet und eine Expert*innenrunde initiiert: Expert*innen aus Politik, Verwaltung und Verbänden arbeiten seit Herbst 2018 in Workshops zusammen, um eine qualitätsvolle Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz zu diskutieren. Mit der Einrichtung dieses Expert*innenkreises wollten die vier Organisationen einen Beitrag dazu leisten, dass das guten Ganztagsangeboten innewohnende Potenzial für mehr Chancengerechtigkeit und damit für bessere Entwicklungs- und Teilhabechancen von Kindern ausgeschöpft werden kann.

Das Rechtsgutachten wurde von Friederike Wapler, Professorin für Rechtsphilosophie und Öffentliches Recht an der Universität Mainz, im Auftrag der Bertelsmann Stiftung für einen Workshop im September 2020 erstellt. Darin wird ausgelotet, welche völkerrechtlichen Aspekte für die Ausgestaltung ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter von Bedeutung sind und welche Pflichten und Chancen für den Staat bestehen, die Kinderrechte systematisch im Ganztag zu verankern. Das Gutachten ergänzt die im Kontext des Arbeitsbündnisses ebenfalls erstellten Rechtsgutachten von Johannes Münder („Rechtliche Möglichkeiten zur Sicherung der Qualität bei der Förderung von Grundschulkindern“, 2018) und Michael Wrase („Einheitliche Qualitätskriterien für den Ganztag im Grundschulalter“, 2019) in dem gemeinsamen Anliegen, Anregungen für die gesetzliche Regelung von Qualitätsstandards für einen guten Ganztag zu geben.

Das Gutachten beginnt mit einigen allgemeinen Bemerkungen zu der Bedeutung völkerrechtlicher Menschenrechtskonventionen für das innerstaatliche Recht. Dann werden die vier Grundprinzipien der Kinderrechtskonvention vorgestellt, die für den menschenrechtlichen Status des Kindes fundamental sind. Schließlich wird auf einige konkrete Rechte eingegangen, die für die Ausgestaltung der Ganztagsgrundschule relevant sind.

Wichtige Ergebnisse

Definition „Kind“

Im Sprachgebrauch des Völkerrechts und des nationalen Verfassungsrechts sind Kinder alle Menschen unter 18 Jahren. Synonym zu dieser Bezeichnung ist im deutschen Recht der Ausdruck „Minderjährige“, in einigen Gesetzen wird diese Lebensphase in die Kindheit (bis 13 Jahre) und Jugend (14 bis 17 Jahre) untergliedert, etwa im Kinder- und Jugendhilferecht und im Jugendstrafrecht. Die Formulierung „Kinder und Jugendliche“ deckt ebenfalls die Altersphase zwischen Geburt und Volljährigkeit ab. Im vorliegenden Gutachten sind mit „Kindern“ alle nicht volljährigen Personen unter 18 Jahren gemeint.

Grundprinzipien der Kinderrechtskonvention: Eckpfeiler des menschenrechtlichen Status von Kindern

Die Menschenrechte von Kindern beruhen auf vier Grundprinzipien, die in der Kinderrechtskonvention (KRK) in einer Vielzahl einzelner Rechtsgewährleistungen konkretisiert werden. Diese vier Prinzipien sind:

  • das Verbot der Diskriminierung (Art. 2 KRK),
  • das Recht auf Leben und Entwicklung (Art. 6 KRK),
  • das allgemeine Recht auf Beteiligung (Art. 12 Abs. 1 KRK) und
  • das Kindeswohlprinzip (Art. 3 Abs. 1 KRK).

Im Folgenden erläutert die Autorin die Auswirkungen der vier Prinzipien auf den Ganztag in Grundschulen.

1. Diskriminierungsverbote, Chancengleichheit, Inklusion

Bedeutung für den Ganztagsbetrieb im Grundschulalter:

  • Schulen und außerschulische Einrichtungen der Ganztagsbetreuung (Horte) müssten aktive Maßnahmen ergreifen, um Diskriminierungen entgegenzuwirken. Sie dürften zudem nicht selbst gesellschaftliche Ungleichheiten verursachen oder verfestigen.
  • Das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe bestehe nicht nur für den Unterricht im engeren Sinne, sondern für alle Angebote des Ganztagsbetriebs. Gleichberechtigter Zugang und Barrierefreiheit seien verbindliche Vorgaben auch für außerunterrichtliche Angebote.
  • Der Aufenthaltsstatus rechtfertige keinen Ausschluss von Angeboten des Ganztagsbetriebes. Kinder, die sich im Asylverfahren befinden oder in Deutschland geduldet sind, müssten gleichberechtigt einbezogen werden.

2. Recht auf Leben, Überleben und Entwicklung

Bedeutung für den Ganztagsbetrieb im Grundschulalter:

  • Der Staat könne seine völkerrechtlichen Staatenpflichten wesentlich über eigene Einrichtungen und Dienste und die Förderung freier Träger erfüllen. Die Schule sei als Teil dieser sozialen Infrastruktur zu verstehen, die der Verwirklichung der Rechte des Kindes dienen soll.
  • Im Schulalltag und in außerschulischer Betreuung sei Gewalt in jeder Form tabu. Die Gesundheit der Schüler*innen sei zu achten und zu fördern, etwa durch hochwertige Verpflegung, regelmäßige Bewegungsangebote und ansprechend gestaltete Außengelände. Für den Schutz der Kinder müssten gesetzliche Standards festgelegt sein, deren Einhaltung von den zuständigen Aufsichtsbehörden sicherzustellen ist. Hierzu gehöre auch, ausreichend qualifiziertes Personal zu beschäftigen.
  • Schulen und Einrichtungen der außerschulischen Betreuung seien als Teil lokaler Präventionsketten zur Verhinderung von Gewalt und zur Gesundheitsvorsorge zu verstehen. Für Kinder mit Gewalterfahrungen seien niedrigschwellige Kontakt- und Beratungsangebote vorzuhalten.
  • Die Ganztagsgrundschule decke einen erheblichen Anteil der wachen Lebenszeit der Grundschüler*innen ab. Deshalb müsse sie – über die reine Vermittlung von Wissen hinaus – den Schüler*innen Anregungen und vielfältige Erfahrungen ermöglichen. Dabei müsse die individuelle Persönlichkeitsentwicklung im Mittelpunkt stehen. Dies erfordere Verfahren der aktiven Mitgestaltung, Freiräume und Wahlmöglichkeiten. Das Menschenrecht auf Entwicklung stehe daher in einem engen Zusammenhang mit dem Recht des Kindes auf Beteiligung.

3. Recht auf Beteiligung

Bedeutung für den Ganztagsbetrieb im Grundschulalter:

  • Die Ganztagsschule eröffne Freiräume für die Weiterentwicklung partizipativer Verfahren (auch in der Grundschule), die aus kinderrechtlicher Perspektive umfassend und vielfältig zu nutzen seien. Auch Grundschüler*innen könnten in die Gestaltung des gemeinsamen Alltags einbezogen werden, etwa im Hinblick auf die Zeitstruktur, Projektthemen, die Gestaltung der Einrichtung, Ausflugsziele, Lernmethoden, Konfliktmanagement etc.
  • Der Schulbetrieb und der Alltag in außerschulischen Einrichtungen müssten darauf ausgelegt sein, Beteiligungskompetenzen zu vermitteln bzw. zu stärken und die Schüler*innen mit demokratischen Verfahren vertraut zu machen. Kinder seien zur Wahrnehmung ihrer Rechte zu befähigen. Entscheidungsfähigkeit könne durch pädagogisches Handeln gefördert bzw. hergestellt werden. Beteiligung setze bei allen Beteiligten die Bereitschaft zum ergebnisoffenen Dialog und gegenseitige Anerkennung voraus. Schulen und außerschulische Einrichtungen müssten daher selbst offen dafür sein, sich auf diesem Gebiet fortzubilden.
  • Für innerschulische Konflikte und für Konflikte in außerschulischen Einrichtungen bedürfe es eines niedrigschwelligen und wirksamen Beschwerdemanagements.

4. Das Kindeswohlprinzip

Bedeutung für den Ganztagsbetrieb im Grundschulalter:

  • Das Kindeswohlprinzip finde im innerstaatlichen Recht keine Entsprechung. Schulen und Einrichtungen der außerschulischen Betreuung seien dennoch unmittelbar aus ihm verpflichtet. Es gelte für Einzelfallentscheidungen, aber auch für generelle Maßnahmen, die das Miteinander in der Einrichtung betreffen.
  • Im Alltag der Schulen und außerschulischen Betreuung sollte es selbstverständlich sein, die Interessen der betroffenen Kinder in den Mittelpunkt zu stellen und in Konfliktfällen dem Kindeswohl den Vorrang zu geben.
  • Das Kindeswohlprinzip richte sich auch an den Gesetzgeber. Dieser sei in der Pflicht, dem Ganztagsschulbetrieb einen Rechtsrahmen zu geben, der in der Abwägung unterschiedlicher Interessen das Wohl der Grundschüler*innen vorrangig berücksichtigt.

Konkretisierungen im Ganztag

1. Recht auf Bildung

Das Menschenrecht auf Bildung berühre Aspekte der Persönlichkeitsentfaltung und sei gleichzeitig eine wichtige Voraussetzung sowohl für gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft als auch für ein selbstbestimmtes Leben. Bildungsrechte seien nicht nur in der Kinderrechtskonvention (Art. 28, 29 KRK) und der Behindertenrechtskonvention (Art. 24 BRK) geregelt, sondern beispielsweise auch in der EU-Grundrechtecharta (Art. GrCH), dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Art. 13 Abs. 1 IPwskR), der Frauenrechtskonvention (Art. 10 CEDAW) und dem ersten Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 2 ZP 1).

Aus diesen Gewährleistungen ließen sich unter anderem die folgenden Grundsätze ableiten, die für den Ganztagsbetrieb an Grundschulen relevant sind:

  • Das Recht auf Bildung stehe jedem Kind zu, das sich in der Bundesrepublik aufhält, auch Asylsuchenden, Geduldeten und Kindern ohne Aufenthaltspapiere.
  • Das Recht auf Bildung sei auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen. Eine weitreichende Konkretisierung habe dieser Gedanke in dem Recht der Menschen mit Behinderung auf gleichberechtigte Teilhabe an einem inklusiven Bildungssystem erfahren.
  • Im Schulalltag müsse sichergestellt sein, dass die Menschenwürde des Kindes gewahrt bleibt. Damit werde das allgemeine Recht des Kindes auf Schutz vor Gewalt, aber auch sein Recht auf Entwicklung für das Bildungssystem konkretisiert. Physische Gewalt gegen Schüler*innen sei ebenso verboten wie herabwürdigendes, bloßstellendes oder in anderer Weise demütigendes Verhalten. Die Pflicht treffe nicht nur das schulische Personal, sondern umfasse auch angemessene Vorkehrungen gegen Gewalt und Mobbing der Schüler*innen untereinander. Flankiert werde diese Vorgabe durch die allgemeine Schutzpflicht des Staates bei der Ausgestaltung öffentlicher und privater Einrichtungen.
  • Grundschule müsse unentgeltlich zur Verfügung stehen. Ob dies auch für außerunterrichtliche und außerschulische Angebote gelte, könne dem Normtext nicht eindeutig entnommen werden. Der Grundsatz der Chancengleichheit gebiete jedoch, im Ganztagsschulbetrieb nicht nach ökonomischer Leistungsfähigkeit der Kinder bzw. ihrer Eltern zu differenzieren. Dies gelte unabhängig von Organisationsform und Trägerschaft. Kostenbeiträge für Hortplätze müssten sozial gestaffelt sein und bei bedürftigen Personen ganz wegfallen. Für kostenintensive Angebote wie Instrumentalunterricht oder außerschulische Freizeitaktivitäten (z. B. Kino, Schwimmbad, Museum) seien verbindliche Regelungen erforderlich, die Kindern die Teilnahme unabhängig von der Finanzkraft ihrer Eltern ermöglichen.
  • Beide Konventionen formulierten gehaltvolle Bildungsziele und machten damit deutlich, dass das Recht auf Bildung nicht nur gleichberechtigten Zugang umfasst, sondern auch die Qualität der Bildungsinhalte. Zu den völkerrechtlichen Bildungszielen gehörten unter anderem die Entfaltung der Persönlichkeit, Begabungen und Fähigkeiten des Kindes, die Vorbereitung auf ein verantwortungsbewusstes Leben in einer freien Gesellschaft sowie die Menschenrechtsbildung.

2. Recht auf Erholung, Spiel und Freizeit sowie auf Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben

Ähnlich wie das Kindeswohlprinzip (Art. 3 Abs. 1 KRK) enthält Art. 31 KRK ein Menschenrecht, das sich in keiner anderen Konvention findet: das Recht des Kindes auf Erholung, Spiel und Freizeit sowie auf Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben. Dieses Recht sei in zweierlei Hinsicht relevant für die Ausgestaltung des Ganztags: Zum einen seien Kinder nicht nur Schüler*innen, sondern benötigten neben der Schule Lebenszeit für Erholung und außerschulische Aktivitäten. Zum zweiten müsse der Ganztagsbetrieb selbst den Schüler*innen ausreichend Erholungszeit, unverplante Zeiträume sowie kulturelle und künstlerische Erfahrungen bieten. Das Recht auf Ruhe umfasse Pausen von verpflichtenden Aktivitäten, aber auch ausreichend Schlaf. Freizeit beziehe sich auf Zeiträume, die nach den eigenen Vorstellungen gestaltet werden können. Mit Spiel beschreibe der Artikel die intrinsisch motivierte, von den Kindern selbst ausgehende und selbst gestaltete Aktivität, die von Erwachsenen weder gesteuert noch kontrolliert, sondern allenfalls ermöglicht, motiviert und begleitet wird.

Bedeutung für den Ganztagsbetrieb im Grundschulalter:

  • Nach der Kinderrechtskonvention stehe das Recht auf Bildung, das Kinder gegen den Staat geltend machen können, in keinem grundsätzlichen Konflikt mit dem Erziehungsrecht der Eltern. Art. 31 verweise nicht aus Eltern-, sondern aus Kinderperspektive auf die Notwendigkeit von Freiräumen innerhalb schulischer und außerschulischer Institutionen wie auch neben diesen. Nicht konventionskonform sei eine Schulorganisation, die neben Schule, ggf. Hort und Hausaufgaben keine Zeit für Erholungspausen, Familie und Freund*innen sowie (allein und mit diesen) selbst organisierte Aktivitäten lässt.
  • Auch innerhalb des Ganztagsschulbetriebs müsse Raum sein für freies Spiel, Ruhe und selbstorganisierte Freizeitgestaltung. Nach dem Verständnis des Kinderrechtsausschusses verweise Art. 31 vor allem auf Zeiten und Räume, in denen sich Kinder frei, ungestört und selbstorganisiert beschäftigen können. Diese Bedürfnisse müssten sich in der zeitlichen Struktur des Ganztags, aber auch in der Architektur der Schulen und außerschulischen Einrichtungen widerspiegeln. Eine sichere Umgebung sei ebenso wichtig wie eine anregende Architektur mit Außenanlagen, Zugang zu Büchern und anderen Medien, Bewegungsangeboten etc. Gerade für jüngere Kinder sei das Spielen wichtig für ihre Persönlichkeitsentfaltung und zugleich eine Art und Weise des Lernens. Der Kinderrechtsausschuss betone daher die Bedeutung von Freiräumen zum Spiel gerade auch in den ersten Schuljahren.
  • Im Ganztagsbetrieb seien Schulen und außerschulische Einrichtungen verpflichtet, den Schüler*innen vielfältige kulturelle und künstlerische Erlebnisse zu ermöglichen. Nach der Formulierung in Art. 31 Abs. 1 KRK gehe es um die „freie“ Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben. Dies impliziere Wahlmöglichkeiten der Schüler*innen und Freiräume, sich Angeboten auch ganz zu entziehen.
  • Der Kinderrechtsausschuss habe empfohlen, die Schule und andere Institutionen, in denen Kinder Zeit verbringen, im Stadtteil und der weiteren Umgebung zu vernetzen und die kulturellen und künstlerischen Angebote, aber auch die Erholungsmöglichkeiten der Region als außerschulischen Bildungs- und Erfahrungsraum zu nutzen.
  • Die Staaten seien verpflichtet, die Rechte aus Art. 31 KRK nicht nur selbst zu achten, sondern auch bei Eltern und anderen Erziehungsberechtigten bekannt zu machen und zu fördern.

3. Freiheitsrechte

Die Kinderrechtskonvention enthalte eine Reihe von Freiheitsrechten, die dem klassischen Katalog der ersten Generation der Menschenrechte – Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe – zuzurechnen seien. Diese Rechte, die auch das deutsche Grundgesetz ohne jede Altersgrenze gewährt, gelten auch in der Schule und anderen staatlichen Institutionen. Einschränkungen könnten durch die Rechte anderer, den Schutz des Kindes vor Gefährdungen, die es nicht überblicken oder beherrschen kann, oder – in der Schule – durch den schulischen Erziehungsauftrag gerechtfertigt sein. In jedem Fall müssten sie sich in Ansehung der Rechte des Kindes als verhältnismäßig erweisen.

Für den Ganztagsschulbetrieb ergäben sich aus den Freiheitsrechten der Kinderrechtskonvention insbesondere die folgenden Pflichten der Schule und der Träger außerschulischer Einrichtungen:

  • Da zu den wesentlichen Bildungszielen der Kinderrechtskonvention gehört, das Kind auf ein verantwortungsbewusstes Leben in der freien Gesellschaft vorzubereiten (Art. 29 Abs. 1 lit. d), habe die Schule nicht nur die Pflicht, die Freiheitsrechte der Kinder zu achten, sondern auch die Aufgabe, sie zur Ausübung ihrer Freiheitsrechte zu befähigen und zu ermuntern.
  • Die in Art. 13 KRK gewährleistete Meinungsfreiheit enthalte keinerlei kinderspezifische Ergänzungen oder Einschränkungen. Die Meinungs- und Informationsfreiheit stehe damit jedem Kind unabhängig von seinem Alter und seinem Entwicklungsstand zu und stehe unter keinem Vorbehalt des elterlichen Einvernehmens. Schüler*innen hätten innerhalb und außerhalb des Unterrichts das Recht, ihre Meinung zu äußern und insbesondere auch Schülerzeitungen herauszugeben. Auch in der Schule würden die allgemeinen Grenzen der freien Meinungsäußerung gelten, die zum Einschreiten insbesondere gegen ehrverletzende, beleidigende oder volksverhetzende Aussagen berechtigen und verpflichten.
  • Kinder und Jugendliche seien in besonderer Weise darauf angewiesen, Zugang zu altersangemessenen Informationsquellen zu erhalten. Die Informationsfreiheit des Kindes ergebe sich ebenfalls aus Art. 13 Abs. 1 KRK. Flankiert werde sie von den medienbezogenen Rechten des Art. 17. Die Kinderrechtskonvention hebe neben den Gefahren der modernen Massenmedien auch die Möglichkeiten hervor, die sie für Kinder als Informationsquelle darstellen. Kinder hätten daher ein Recht auf Zugang zu qualitativ hochwertigen Informationen aus einer Vielfalt von Medien. Die Vertragsstaaten – und damit insbesondere auch die Einrichtungen des Bildungswesens – seien verpflichtet, Kindern die notwendigen Medienkompetenzen zu vermitteln.
  • Schüler*innen könnten ihre Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 15 KRK) in der Schule wahrnehmen, etwa indem sie Arbeitsgruppen und Initiativen gründen, um bestimmte Themen zu besprechen, oder außerhalb der formalen Gremien und Konferenzen Klassen-, Jahrgangs- oder Schulversammlungen einberufen. Die Versammlungsfreiheit könne mit der Schulpflicht kollidieren, wenn Schüler*innen an schulinternen oder außerschulischen Versammlungen während des Unterrichts teilnehmen. In dieser Situation stelle sich die Frage, ob die Schule den beteiligten Schüler*innen den versäumten Unterricht als unentschuldigte Fehlzeit einträgt oder noch weiter gehende disziplinarische Maßnahmen ergreift. Die Klassen- oder Schulleitung habe in dieser Frage einen Entscheidungsspielraum, sei dabei aber in jedem Fall an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Ein „Schulstreik“ während der Unterrichtszeit könne aus der Perspektive der Schüler*innen geradezu geboten sein, wenn die Öffentlichkeit nur auf diese Weise dazu gebracht werden kann, ein Anliegen der jüngeren Generation wahr- und ernstzunehmen.
  • Die Kinderrechtskonvention gewähre in Art. 14 die Freiheit der Gedanken, des Gewissens und der Religion. Nach deutschem Recht seien Jugendliche ab 14 Jahren religionsmündig und könnten dann auch allein über religiöse Fragen entscheiden. Da Kinder aber auch schon weit vor dieser Altersgrenze einen religiösen Glauben haben oder Gewissensentscheidungen treffen können (z.B. sich dafür entscheiden, vegetarisch zu essen), seien diese Entscheidungen im Ganztagsbetrieb so weit wie möglich zu berücksichtigen; bei Konflikten sei im Dialog nach Lösungen zu suchen. Soweit aus religiösen Gründen Unterrichtsbefreiungen eingefordert werden, könne der schulische Erziehungsauftrag allerdings überwiegen.

4. Das Recht des Kindes auf Schutz der Privatsphäre

Das Kind habe nach Art. 16 KRK ein Recht auf Schutz seiner Privatsphäre vor willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen des Staates. Der Schutz erstrecke sich auf Familienleben und Wohnung, aber auch auf das Privatleben, den Schriftverkehr sowie Beeinträchtigungen der Ehre und des Rufes.

Bedeutung für den Ganztagsbetrieb im Grundschulalter:

  • Die Regelung verpflichte Schulträger und Träger außerschulischer Einrichtungen zur Einhaltung datenschutzrechtlicher Pflichten, die auch private Unterlagen des Kindes und elektronisch gespeicherte Daten wie Bilder und Chatverläufe auf Mobiltelefonen und Tablets betreffen. Die Durchsuchung solcher Medien sei nur bei gesetzlich vorgesehenen Anlässen zu den gesetzlich geregelten Zwecken zulässig.
  • Der Begriff des Privatlebens umfasse nicht nur die häusliche Privatsphäre, sondern alle Äußerungsformen des Privaten, auch wenn sie sich in der Öffentlichkeit manifestieren. Geschützt seien insbesondere auch der Name und das Geschlecht des Kindes, seine sozialen Beziehungen, seine Art und Weise, sich zu kleiden, seine Frisur und allgemein seine körperliche Erscheinungsform. Das Recht des Kindes auf Achtung seines Privatlebens werde unter anderem verletzt, wenn seine sexuelle Orientierung gegen seinen Willen offengelegt werde oder wenn eine Namensänderung oder ein Wechsel des personenstandsrechtlichen Geschlechts nicht respektiert werde. Auch viele Erscheinungsformen des sogenannten Cybermobbings gingen mit Verletzungen der Privatsphäre einher. Verletzungen des Rechts auf Privatsphäre könnten von pädagogischem Personal oder anderen Schüler*innen ausgehen. Schulen und außerschulische Einrichtungen müssten einerseits selbst eine Kultur des Respekts pflegen und andererseits wirksame Strategien zum Schutz vor Übergriffen der Schüler*innen untereinander entwickeln und durchsetzen.
  • Zum Schutz der Privatsphäre könnten bauliche Voraussetzungen erforderlich sein, etwa Sichtschutzwände in Umkleidekabinen und Duschen sowie abschließbare Spinde. Im Ganztagsbetrieb müsse es Orte geben, an denen Kinder ungestört sein und dies auch gegenüber anderen Kindern durchsetzen könnten. Auch in dieser Hinsicht sei die Beteiligung der Schüler*innen bei der Gestaltung ihres Umfelds angezeigt.

V. Die Staatenpflicht zur Unterstützung der Eltern bei ihrer Erziehungsaufgabe (Art. 3 Abs. 2, 5, 18 KRK)

Die Kinderrechtskonvention sehe das Kind nicht als isolierte Person, sondern eingebettet in soziale Beziehungen insbesondere zu seinen Eltern und anderen nahen Bezugspersonen (Art. 3 Abs. 2, 5, 18 KRK). Im Kontext der Ganztagsschule sei vor allem Art. 5 zu beachten, der die Staaten verpflichtet, die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Eltern und anderer Erziehungsberechtigter zu achten, „das Kind bei der Ausübung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte in einer seiner Entwicklung entsprechenden Weise zu leiten und zu führen“ (Art. 5 KRK). Damit werde ein Vorrang der elterlichen Erziehung konstituiert, der auch das deutsche Grundgesetz prägt. Zu den Aufgaben des Staates im Hinblick auf das Eltern-Kind-Verhältnis gehöre aber auch, die Eltern bei ihrer Pflege und Erziehung des Kindes zu unterstützen. Dies solle auch durch den Ausbau von Betreuungseinrichtungen geschehen (Art. 18 Abs. 2 KRK).

Die Pflicht zur Achtung und Unterstützung der elterlichen Rechte und Pflichten sei auch in der Schule und in außerschulischen Betreuungseinrichtungen wichtig. Für den Ganztagsbetrieb ließen sich daraus die folgenden Grundsätze ableiten:

  • Das Recht auf Bildung bestehe nach seinem Wortlaut als elternunabhängiges Recht. Ähnlich wie nach dem Grundgesetz hätten die Vertragsstaaten insofern einen eigenständigen Bildungsauftrag, den sie unter Umständen auch gegen die Eltern durchsetzen können. Bei der Ausgestaltung dieses Bildungsauftrags sei aber nach Art. 5 KRK auf die unterschiedlichen Erziehungsvorstellungen der Eltern Rücksicht zu nehmen.
  • Eltern hätten zudem Informations- und Mitwirkungsrechte sowohl hinsichtlich der Unterrichtsinhalte und -methoden als auch hinsichtlich der Gestaltung außerunterrichtlicher Angebote. Sie sollten bei der Gestaltung des Ganztags als Verbündete begriffen werden.
  • Der Kinderrechtsausschuss weise darüber hinaus auf die Aufgabe der Bildungsträger hin, Eltern über die Rechte ihrer Kinder zu informieren, sie für die Einhaltung dieser Rechte zu sensibilisieren und zu motivieren und auch in diesem Sinne Menschenrechtsbildung zu betreiben.

Fazit

Die Gutachterin kommt zu dem Schluss, dass die internationalen Menschenrechtserklärungen zwar universale Geltung, aber nur schwache Durchsetzungsmechanismen haben. Dennoch lohne sich die Auseinandersetzung mit ihren Gewährleistungen und es sollte in der rechtspolitischen Diskussion auf die menschenrechtlichen Standards hingewiesen werden. Mit der Unterzeichnung der Menschenrechtserklärungen hätten sich die Staaten rechtlich verbindliche und ethisch gehaltvolle Ziele gesetzt. Sie begründeten Umsetzungspflichten, die ihren politischen Gestaltungsspielraum begrenzen und auch für ihre Haushaltsplanung gültig sind. Wenn man die Grundsätze, die die Kinderrechtskonvention für die Ausgestaltung von Schulen und außerschulischen Einrichtungen enthält, im Zusammenhang betrachte, würden sich diese Institutionen als wichtiger Teil der sozialen Infrastruktur erweisen. Die damit verbundenen Möglichkeiten könne und müsse der Staat nutzen, um allen Kindern den gleichberechtigten Genuss ihrer Menschenrechte zu ermöglichen. Gute infrastrukturelle Bedingungen könnten Chancen eröffnen, die ungleichen Ausgangsbedingungen von Kindern zu kompensieren und somit Perspektiven bieten, die ihre Herkunftsfamilien ihnen nicht bieten können. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung erfordere vor diesem Hintergrund die Transformation der Institution Schule in einen Lebensraum, in dem unterschiedliche Professionen kooperativ zusammenwirken, um Kindern vielfältige Erfahrungen zu ermöglichen und ihnen Zukunftschancen zu eröffnen. „Guter Ganztag“ stelle die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder in den Mittelpunkt und sichere Kindern über Mitwirkungs-, Beteiligungs- und Entscheidungsrechte einen aktiven Einfluss auf Gestaltung ihrer schulischen und außerschulischen Lebensbedingungen zu.