Bildungslotsen in der Risikogesellschaft
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- Bildungsabschnitt
- Aus- und Weiterbildung
Thema
Bildungs- und Berufsberatung in Deutschland
Herausgeberschaft
Bertelsmann Stiftung
Autoren/Autorinnen
Bernd Käpplinger
Erscheinungsort
Gütersloh
Erscheinungsjahr
2015
Stiftungsengagement
Bertelsmann Stiftung
Literaturangabe
Bernd Käpplinger: Bildungslotsen in der Risikogesellschaft. Fakten und Positionen. Weiterbildung für alle. Hrsg. v. Bertelsmann Stiftung. Gütersloh 2015.
Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise
Hintergrund ist, dass es angesichts einer überwältigenden Informationsflut in der modernen Wissensgesellschaft zunehmend schwierig wird, sich zu orientieren und Entscheidungen zu treffen, vor allem, wenn dadurch das eigene Leben nachhaltig verändert wird. Zu diesen Entscheidungen von großer Tragweite gehören Bildungsentscheidungen, etwa die Frage, ob man eine Ausbildung machen oder lieber studieren soll oder die Frage, ob ein Bildungsangebot für die eigenen beruflichen Ziele geeignet ist. In solchen Fällen kann Bildungsberatung sehr hilfreich sein.
Die Landschaft der Bildungsberatung ist gegenwärtig unübersichtlich und die Angebote sind sehr unterschiedlich in Bezug auf den erwarteten Nutzen, den Zeithorizont, die Akteure und die Art der Bedürfnisse. Zudem bestehen Barrieren für manche Gruppen, insbesondere für geringqualifizierte und sogenannte bildungsferne Menschen, denen es am meisten an Informationen, Orientierung und Begleitung mangelt.
Die von Prof. Dr. Bernd Käpplinger (Justus-Liebig-Universität Gießen) verfasste Studie beruht auf der Annahme, dass eine wirksame Beratung und ein ausdifferenziertes Beratungsangebot immer wichtiger wird. Auf dem Weg zu einer guten Beratungslandschaft gebe es allerdings noch eine Reihe grundsätzlicher Probleme. In der Publikation werden diese Problemszenarien genauer betrachtet und mit Blick auf mögliche Lösungen diskutiert.
Wichtige Ergebnisse
Probleme und Lösungsansätze in der Bildungsberatung
1. Verlässliche und qualitätvolle Angebotsstruktur schaffen, stabile Finanzierung sichern
Die öffentliche Finanzierung von Beratungsangeboten erfolgt häufig über zeitlich befristete Förderprogramme von Bund und Ländern, aber zum Beispiel auch durch Mittel des Europäischen Sozialfonds. Die verbreitete Projektförderung („Projektitis“) führt nach Ansicht des Autors jedoch dazu, dass öffentliche Mittel wenig nachhaltig eingesetzt werden und die Ratsuchenden mit intransparenten und sich ständig verändernden Strukturen konfrontiert sind. Gerade individuelle Beratung sei jedoch auf Vertrauen angewiesen, das wiederum Zeit brauche, um zu wachsen. Deshalb wäre es wichtig, das Verhältnis von Programmförderung und Grundförderung neu zu gestalten. Auch könnte darüber nachgedacht werden, ob eine Kostenbeteiligung – gerade bei einkommensstärkeren Beschäftigtengruppen – eingeführt werden sollte. Allerdings würde sich eine Kostenbeteiligung an den Beratungsangeboten mit großer Wahrscheinlichkeit nachteilig auswirken, wenn man Bildungsbenachteiligte und bildungsferne Milieus erreichen möchte. Beratung sollte deshalb als Element der öffentlichen Daseinsfürsorge etabliert werden. Der Anteil institutioneller Förderungen für die Bildungsberatung sollte in den öffentlichen Haushalten von derzeit meist unter 10 auf mindestens 30 Prozent angehoben werden – und zwar jenseits von Programm- oder Projektförderungen. Nur so lasse sich eine halbwegs verlässliche und qualitätsvolle Angebotsstruktur sichern.
2. Beratung 2.0: Hybride Beratungsformen forcieren
Digitale Information und Beratung vor Ort sollten stärker komplementär gestaltet, neue und hybride Formate der Online-, Telefon- und Präsenzberatung weiterentwickelt werden. Aktuell wird ein bundesweites Servicetelefon mit Weiterleitungsoptionen in die Länder erprobt: www.bmbf.de/de/der-weiterbildungsratgeber.php.
Ganz besonders sogenannte bildungsferne Milieus bedürfen einer zielgruppengerechten Ansprache und Beratung, etwa über soziale Medien wie Facebook. Auch könnten positive Beratungserfahrungen Einzelner über digitale Wege verbreitet werden, um so zu einer besseren Bekanntheit und höheren Nutzenerwartung bei der Zielgruppe beizutragen. Das Potenzial von Big Data für die personalisierte Beratung könnte zudem noch besser ausgeschöpft werden. Umfangreiche Informationen über Erfolg und Misserfolg von Bildungsentscheidungen bei verschiedenen individuellen Voraussetzungen könnten eine wichtige Grundlage für die Beratung legen.
3. Professionelle Institutionen und qualifizierte Beraterinnen und Berater etablieren, Qualitätssicherung in der Bildungsberatung ausbauen
Derzeit haben auch unqualifizierte und unseriöse Anbieter ungehinderten Zugang zum Markt, wo sie oft mehr Nutzen als Schaden anrichten, so der Autor. Nach den Ergebnissen vieler Studien gehöre die Professionalität des lehrenden oder beratenden Personals jedoch zu den zentralen Qualitätsfaktoren. Deshalb seien Aus-und Fortbildung sowie Qualitätsentwicklung und -sicherung in der Bildungsberatung zu intensivieren.
Zudem müssten Personal- und Organisationsentwicklung gleichermaßen berücksichtigt und gepflegt werden. Es gelte, eine bessere Balance zwischen den (bisher dominierenden) Organisationszertifizierungen und der (bisher zu geringen) Förderung der Professionalität der Beraterinnen und Berater zu finden. Der quantitative Ausbau von Beratungsstrukturen müsse gleichzeitig qualitativ und professionell erfolgen.
4. Ein „Haus für Beratung zu Bildung, Beruf und Beschäftigung“ in jeder Kommune schaffen, neue Wege in der Beratungslandschaft einschlagen
Beratung zu Bildung, Beruf und Beschäftigung ist ein Querschnittthema: Die entsprechenden Zuständigkeiten sind zwischen verschiedenen Ministerien und Behörden auf den Ebenen von Bund, Länder und Kommunen verteilt, was sowohl die Abstimmung als auch den Aufbau systematischer Beratungsstrukturen erschwert. Der Autor stellt fest, dass darunter vor allem die öffentliche Sichtbarkeit von Bildungsberatung leide, da sie unter zahlreichen Namen erscheint, die Beratungslandschaft kleinteilig fragmentiert ist und keine zuverlässige feste Struktur bietet. Der Angebotsmarkt verändert sich ständig.
2006 wurde das Nationale Forum Beratung als Plattform für Dialoge und Impulse gegründet. Wenig überzeugend wäre es, „das Rad zurückzudrehen“ und die Bundesagentur für Arbeit wie in den 1990er Jahren wieder als zentrale Beratungsinstitution zu etablieren. Die Beratungsbedürfnisse seien zu vielfältig und zu milieuspezifisch, als dass eine einzige Institution mit ihrer Organisationskultur diese optimal auffangen und bedienen könnte.
Dagegen wäre es sinnvoll, ein Zentrum für Beratung zu Bildung, Beruf und Beschäftigung einzurichten, das als erste Anlaufstelle für eine neutrale Beratung fungiert. Hier sollten verschiedene, bereits existierende Beratungsstellen unter einem Dach versammelt sein, ihre Beratungsangebote darstellen und die Ratsuchenden wie Lotsen zu den jeweils passenden Angeboten hinführen. Eine zentrale Servicehotline und Internetplattformen könnten das Beratungsangebot vor Ort virtuell und telefonisch ergänzen.
Die neuen Medien sollten die Präsenzangebote stärker als bisher ergänzen. Auch wäre es erforderlich, intelligente Abstimmungssysteme zwischen verschiedenen Politikebenen zu schaffen und weiter auszubauen. Für eine bessere Form der Beratung müsste keine komplett neue Struktur etabliert werden, sondern die zahlreichen bestehenden Ansätze und Beratungsstrukturen – öffentlicher oder privater Natur – sollten besser gebündelt werden, vielleicht unter einer Art Franchisemarke wie „Haus für Beratung zu Bildung, Beruf und Beschäftigung – Die Bildungslotsen“. Eine räumliche Zusammenführung in einem Haus (unter Wahrung institutioneller Selbstständigkeiten) würde der Beratung eine andere Präsenz in kommunalen Sozialräumen verleihen.
Eine solche Entwicklung hin zu offenen, pluralen Beratungszentren wäre auch anschlussfähig an die kommunalen Lernzentren in verschiedenen Städten. Grundsätzlich müsse nach Lösungen gesucht werden, wie die vielfältige Arbeit der Bildungsberatung sichtbarer gemacht und nachhaltig miteinander vernetzt werden kann.
5. Alle gesellschaftlichen Gruppen erreichen
Beratung sei früher oft stigmatisiert worden, heute sei sie für die meisten Menschen eine normale Dienstleistung. Gerade Bildungsbenachteiligte und Geringqualifizierte würden gegenwärtig durch Bildungsberatung – trotz überdurchschnittlichem Bedarf – nur unterdurchschnittlich erreicht. Es gelte deshalb, Beratungsformate weiterzuentwickeln, institutionelle Barrieren abzubauen und niedrigschwellige Zugänge zu schaffen. Dann könne Bildungsberatung zum Abbau der Bildungsungleichheit in Deutschland beitragen.
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