Berufsausbildung in einer Einwanderungsgesellschaft
- Handlungsfeld
- Diversität
- Bildungsabschnitt
- Berufliche Bildung
Thema
Gelingende Integration von Zugewanderten in eine berufliche Ausbildung
Herausgeberschaft
Bertelsmann Stiftung
Autoren/Autorinnen
Dieter Euler/Eckart Severing
Erscheinungsort
Gütersloh
Erscheinungsjahr
2017
Stiftungsengagement
Bertelsmann Stiftung
Literaturangabe
Dieter Euler/Eckart Severing: Berufsausbildung in einer Einwanderungsgesellschaft. Praxis gestalten: Umsetzungsstrategien für die Berufsausbildung in einer Einwanderungsgesellschaft. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung 2017. DOI 10.11586/2017001
Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise
Grundannahme ist, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, das aufgrund einer stabilen Wirtschaftslage und einer hohen Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes derzeit gute Bedingungen für eine Integration von Zugewanderten bietet. Damit Zuwanderung nachhaltig gelingen kann, seien Bildung und berufliche Qualifizierung der Zugewanderten jedoch von entscheidender Bedeutung. Die relativ hohe Zahl der Geflüchteten aus Krisenländern in den letzten Jahren stelle das Bildungssystem in Deutschland vor große Herausforderungen, zumal mehr als die Hälfte der registrierten Asylbewerber unter 25 Jahren sind. Darüber hinaus stellten die unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen und kulturellen Hintergründe der Zugewanderten die berufliche Bildung vor große Aufgaben, die mit unterschiedlichen Akteuren und Zuständigkeiten gelöst werden müssten.
Viele Geflüchtete hätten häufig nur eine unzureichende Schulbildung und verfügten nicht über die erforderlichen beruflichen Qualifikationen für den deutschen Arbeitsmarkt. Die Integration brauche Zeit und müsse so früh wie möglich beginnen: mit Spracherwerb, beruflicher Orientierung und Berufsausbildung. Die Fülle von Maßnahmen, Projekten und Initiativen zeige, dass Vieles bereits auf den Weg gebracht worden sei. Doch bleibe noch viel zu tun, um möglichst vielen jungen Geflüchteten die Chance auf eine Berufsausbildung in Deutschland zu geben. Denn ein qualifizierter Berufsabschluss sei die beste Voraussetzung für eine gelingende Integration in den Arbeitsmarkt und damit auch in die Gesellschaft.
Vor diesem Hintergrund hat die Initiative „Chance Ausbildung – jeder wird gebraucht!“ im Sommer 2016 ein Positionspapier vorgelegt, in dem Wege aufgezeigt werden, wie den Eingewanderten eine vollqualifizierende, duale oder betriebsnahe Ausbildung im Regelsystem der beruflichen Bildung ermöglicht werden könnte. Das vorliegende Umsetzungspapier „Berufsausbildung in einer Einwanderungsgesellschaft“ schließt daran an und ermöglicht Einblicke in bereits bestehende Bildungsangebote, Konzepte und Fördermaßnahmen des Bundes und der Länder in den Bereichen Spracherwerb, Ausbildungsvorbereitung und Übergang in eine anerkannte Berufsausbildung. Zudem werden die wesentlichen Herausforderungen und weiteren Handlungsbedarfe für eine gelingende Integration von Geflüchteten in eine berufliche Ausbildung benannt.
Verfasst wurde die Publikation im Auftrag der Bertelsmann Stiftung von Prof. Dr. Dieter Euler (Universität St. Gallen) und Prof. Dr. Eckart Severing (Universität Erlangen-Nürnberg).
Wichtige Ergebnisse
1. Spracherwerb
Es besteht Konsens, dass der Erwerb der deutschen Sprache eine unverzichtbare Voraussetzung für die Integration der Zugewanderten darstellt. Spracherwerb bezieht sich dabei zum einen auf den Gebrauch der Alltagssprache, zum anderen auf die Kompetenz zur Nutzung der berufsbezogenen Fach- und Bildungssprache. Im Detail ist zwischen Schrift- und gesprochener Sprache sowie zwischen Alltags- und berufsbezogener Fachsprache zu unterscheiden.
Unter den in den vergangenen Jahren zugewanderten Menschen zählt der überwiegende Teil zu den Sprachanfängern mit geringen bzw. gar keinen Deutschkenntnissen. Für diese Gruppe müssten Sprachförderangebote auf dem untersten Kompetenzniveau (A1 des GER) bereitgestellt werden, um einen ersten Zugang zur deutschen Sprache zu schaffen. Ein kleinerer Teil der Zugewanderten kommt mit Alphabetisierungsbedarf nach Deutschland und befindet sich noch unterhalb dieses A1-Kompetenzniveaus. Zudem stammt ein großer Teil der Geflüchteten aus Ländern, in denen die lateinische Schrift kaum in Gebrauch ist. Somit ist die Gruppe der Zugewanderten in ihren Bildungsvoraussetzungen heterogen und die sprachlichen Voraussetzungen befinden sich insgesamt auf einem niedrigen Niveau.
Ein differenziertes Konzept des Spracherwerbs müsse dieser Heterogenität gerecht werden, so die Autoren. Dabei sollte allen Zugewanderten der Zugang zu Angeboten des Spracherwerbs möglichst unmittelbar nach ihrem Eintreffen in Deutschland ermöglicht werden. Zudem sollte Spracherwerb als längerfristiger Prozess gesehen werden, der folgende Schwerpunkte umfasst:
- Grundlegender Spracherwerb, primär fokussiert auf das Erlernen alltagssprachlicher Grundkompetenzen (u.a. mündliche Ausdrucksfähigkeiten, basale Lesekompetenzen)
- Berufsbezogener Spracherwerb, weitergehend ausgerichtet auf das Erlernen der berufsspezifischen Fachsprache bzw. der in Bildungsinstitutionen (einschließlich Prüfungen) geforderten Bildungssprache (u.a. Erwerb des spezifischen Fachvokabulars, Erweiterung der mündlichen Ausdrucks- und Lesefähigkeiten, Entwicklung von Schreibkompetenzen)
- Informeller Spracherwerb in Praxisgemeinschaften, weitergehend bezogen auf die Verfeinerung von Alltags- und Fachsprache durch den Erwerb situationsspezifischer Kommunikationsfertigkeiten (u.a. zur Bewältigung berufsbezogener Interaktionssituationen).
Bei der Gestaltung der Sprachförderung könnte auf langjährige Erfahrungen, didaktisch-methodische Konzepte sowie bestehende Infrastrukturen im Bereich „Deutsch als Zweitsprache (DaZ)“ zurückgegriffen werden. Diese zeigen sich beispielsweise in eigenständigen Studiengängen an Hochschulen, Fächern in allgemein- und berufsbildenden Schulen sowie bei entsprechend ausgebildeten Lehrkräften, die in diesem Bereich unterrichten.
Empfehlungen:
- Integrationskurse ausweiten und Zugang beschleunigen
- Sprachförderung in Ausbildungsvorbereitung und Berufsausbildung integrieren
- Digitale Medienangebote für die Sprachförderung erweitern
- Kulturelle und soziale Integration in die Sprachförderung einbetten
2. Ausbildungsvorbereitung
Eine ausreichende Sprachbeherrschung des Deutschen reicht alleine nicht aus, um die Voraussetzungen für den Einstieg in eine Berufsausbildung zu schaffen. Die Autoren machen darauf aufmerksam, dass der kulturelle Hintergrund und die schulischen Voraussetzungen der Zugewanderten meist große Unterschiede aufweisen und ihre Kenntnisse der deutschen Bildungs- und der Arbeitswelt zu gering sind, als dass ein unmittelbarer Übergang in eine duale oder schulische Berufsausbildung gelingen könnte. Deutschland verfüge aber bereits über ein sogenanntes Übergangssystem, das der Berufsvorbereitung zwischen Schulabgang und Ausbildungsaufnahme dient. Die Maßnahmen im Übergangsbereich werden von einem Netzwerk aus öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen getragen, überwiegend von den Ländern, aber auch der Bundesagentur für Arbeit. Darüber hinaus werden sie von Bund, Kommunen, Verbänden und einzelnen Unternehmen gefördert.
Den Angeboten im Übergangssystem komme bei der Berufsvorbereitung von Geflüchteten und Zugewanderten eine wesentliche Rolle zu: So seien Vorbereitungskurse, betriebliche Praktika sowie Berufsorientierungs- und Berufsberatungsmaßnahmen die wesentlichen Voraussetzungen für einen gelingenden Übergang von jungen Zugewanderten in eine Ausbildung.
Empfehlungen:
- Bedarfsdeckende und konsistente Berufsorientierung und -beratung flächendeckend etablieren
- Profiling und Kompetenzfeststellung durchführen
- Berufsvorbereitende Maßnahmen einrichten
3. Übergang in eine anerkannte Berufsausbildung
Die Mehrzahl der jungen Geflüchteten, die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind und an Bildungsmaßnahmen teilnehmen, befindet sich in Integrationsmaßnahmen, anderweitigen Sprachkursen oder berufsvorbereitenden Maßnahmen. Ihr Übergang in eine Berufsausbildung steht in den meisten Fällen erst ab 2017 an. Die Aufnahme einer Berufsausbildung mit anerkanntem Abschluss werde für die meisten Geflüchteten der Schlüssel für eine nachhaltige Integration in die Arbeitswelt in Deutschland sein. Gelinge der Übergang in eine berufliche Ausbildung nicht, seien viele von ihnen ohne Berufsabschluss dauerhaft auf Transferleistungen oder auf Beschäftigungen im Niedriglohnsektor angewiesen.
Die Autoren sehen in diesem Bereich die größten Herausforderungen bei folgenden Themen:
- Gesicherter Aufenthaltsstatus
- Betriebliche Ausbildungsbereitschaft
- Begleitende Unterstützung ausbildender Betriebe und der Auszubildenden
- Betriebsnahe Ausbildung
- Neue Ausbildungsformate
Perspektiven
Im Resümee zeigt sich nach Ansicht der Autoren ein sehr uneinheitliches Bild: Die Berufsbildung in Deutschland habe mit einer großen Zahl von Projekten und Initiativen zur Sprachvermittlung, Kompetenzfeststellung und Berufsorientierung ihre Leistungsfähigkeit bewiesen. Die Instrumente der Ausbildungsvorbereitung seien tendenziell so geöffnet und optimiert worden, dass sie auch dem Bedarf junger Geflüchteter entsprechen. Doch könnten bei Weitem noch nicht betriebliche Ausbildungsplätze in hinreichender Zahl mobilisiert werden.
Die Herausforderungen der Umsetzung einer Berufsausbildung in einer Einwanderungsgesellschaft konzentrierten sich vor allem auf zwei Punkte:
- Zum einen müssten viele Projekte und Initiativen aus dem Modus der Improvisation in verlässliche und nachhaltige Strukturen überführt werden.
- Zum anderen müssten mehr Unternehmen gewonnen werden, die sich bei der Berufsausbildung junger Geflüchteter engagieren. Kleinen, mittleren und großen Unternehmen sei zu vermitteln, dass der Fachkräftenachwuchs nicht mehr weit überwiegend aus Einheimischen ohne Migrationshintergrund bestehen wird, sondern zu großen Teilen auch aus Zugewanderten.