Studie

Berufsausbildung in einer Einwanderungsgesellschaft

Thema

Integration von jungen Zugewanderten in die berufliche Bildung

Herausgeberschaft

Bertelsmann Stiftung

Autoren/Autorinnen

Dieter Euler/Eckart Severing

Erscheinungsort

Gütersloh

Erscheinungsjahr

2016

Stiftungsengagement

Bertelsmann Stiftung

Literaturangabe

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Berufsausbildung in einer Einwanderungsgesellschaft. Daten, Fakten, offene Fragen. Gütersloh 2016.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass das berufliche Bildungssystem in Deutschland vor der großen Herausforderung steht, eine hohe Zahl von Zugewanderten möglichst schnell und passgenau in die Gesellschaft zu integrieren. Neben speziellen Angeboten für Zugewanderte müsse vor diesem Hintergrund auch über strukturelle Veränderungen in der beruflichen Bildung diskutiert werden, so die Autoren. Die Erfahrungen zeigten, dass das System der dualen Berufsbildung gute Voraussetzungen bietet, um Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wenn der Zugang dazu gelingt.

In dem Hintergrundpapier „Berufsbildung in einer Einwanderungsgesellschaft“ werden die unterschiedlichen Gruppen von Zugewanderten sowie die jeweiligen Voraussetzungen für ihre Integration in Ausbildung und Beruf beschrieben. Aufgezeigt werden auch Barrieren sowie Zugangswege für ihre Berufsausbildung.

Basierend auf dieser Grundlage haben die Akteure der Initiative „Chance Ausbildung“ in einem zweiten Papier „Position beziehen“ ihre politischen Forderungen formuliert (> Berufsausbildung in einer Einwanderungsgesellschaft. Politische Forderungen der Initiative „Chance Ausbildung“). In der vorliegenden Publikation „Praxis gestalten“ soll anhand konkreter Beispiele gezeigt werden, wie sich Berufsbildung in einer Einwanderungsgesellschaft erfolgreich umsetzen lässt. Verfasst wurde sie von Prof. Dr. Dieter Euler (Universität St. Gallen) und Prof. Dr. Eckart Severing (Forschungsinstitut Betriebliche Bildung, f-bb).

Wichtige Ergebnisse

Betont wird, dass Deutschland faktisch ein Einwanderungsland ist und es in den kommenden Jahren auch bleiben wird. Die erfolgreiche Integration von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlingen in die deutsche Berufsbildung sei daher eine längerfristige Herausforderung. Die Bewältigung dieser Herausforderung entscheide nicht nur über die beruflichen Chancen der jugendlichen Zugewanderten, sondern auch über die Frage, ob Zuwanderung künftig gesellschaftlich akzeptiert werde oder die Reaktionen eines aggressiven Nationalismus Oberhand gewinnen.

Ein Scheitern der beruflichen Integration von jungen Zugewanderten würde die Gefahr vergrößern, dass eine bisher in Deutschland unbekannte gesellschaftliche Spaltung eintritt, so die Autoren:

  • auf der einen Seite würden dann unqualifizierte junge Flüchtlinge stehen, die prekär in Gelegenheitsjobs beschäftigt oder arbeitslos sind, in Armutsquartieren konzentriert leben und gesellschaftlich abgekoppelt sind;
  • auf der anderen Seite stünde ein abgegrenzter, nach unten abgeriegelter Arbeitsmarkt mit alternden Fachkräften, deren Anzahl zudem abnimmt.

Die deutsche Berufsbildung könnte solchen Tendenzen entgegenwirken, indem Zugewanderten der Zugang zu dualen und schulischen Ausbildungen in anerkannten Berufen eröffnet wird und sie darauf auch sprachlich und kulturell vorbereitet werden.

Stakeholder der Berufsbildungsinstitutionen warnten oft davor, aufgrund von Integrationszielen die traditionell hohen Standards der beruflichen Ausbildung in Deutschland abzusenken. Diese bekannte Reaktion sei jedoch der Dringlichkeit des Problems nicht angemessen, so die Autoren. Bisher gelinge unter diesen Vorzeichen noch nicht einmal die Integration einheimischer Hauptschülerinnen und Hauptschüler in ausreichendem Umfang. Es sei kaum vorstellbar, wie angesichts dieser Situation die Integration junger Zugewanderter mit noch schlechteren Voraussetzungen gelingen sollte.

Ziel sei nicht, beruflich erforderliche Standards der Ausbildungsabschlüsse abzusenken, doch sei es dringend notwendig, Zugangshürden zu verringern. Dazu müsste auch über die Regularien diskutiert werden, die die Integrationskraft der Berufsausbildung beeinträchtigen. Folgende Fragen werden dazu formuliert:

  • Wie können mitgebrachte berufliche Kompetenzen besser angerechnet werden, auch wenn sie nicht formal erworben wurden oder mit Abschlusszertifikaten belegbar sind?
  • Wie kann es ermöglicht werden, dass Berufsabschlüsse Schritt für Schritt über Teilqualifikationen erreicht werden?
  • Wie kann der Zugang zur „Externenprüfung“ in der Berufsbildung vereinfacht werden?
  • Kann der Erwerb der deutschen Schrift und Sprache dadurch effizienter und schneller erfolgen, dass er nach kurzen ersten Sprachkursen an einen beruflichen Alltag gekoppelt wird?
  • Wie können Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlinge, die in den vergangenen Jahren bereits erfolgreich beruflich integriert wurden, als Lehrkräfte und Betreuungspersonen bei der Berufsausbildung der Neuankömmlinge helfen – auch ohne Lehramtsexamen oder Nachweis der „berufs- und arbeitspädagogischen Eignung“ durch die Ausbildereignungsprüfung?

Die Autoren weisen darauf hin, dass sich noch viele weitere Fragen dieser Art stellen. Aber anders als in den vergangenen Jahren, in denen eine günstige Wirtschaftsentwicklung und die damit verbundene Wende am Ausbildungsstellenmarkt das System der Berufsbildung von Reformdruck entlastet habe, seien jetzt schnelle Weichenstellungen erforderlich und es müsse rasch gehandelt werden.