HandlungsempfehlungenPositionspapier

Baukultur braucht Bildung!

Thema

Baukulturelle Bildung in der Schule

Herausgeberschaft

Bundesstiftung Baukultur (Hg.)

Erscheinungsort

Potsdam

Erscheinungsjahr

2020

Stiftungsengagement

Bundesstiftung Baukultur

Literaturangabe

Bundesstiftung Baukultur (Hg.): Baukultur braucht Bildung! Potsdam 2020.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass Räume Menschen prägen und Menschen Räume prägen. Mit diesem Motto möchte die Bundesstiftung Baukultur auf die Wechselwirkung zwischen der gebauten Umwelt und den Menschen, die in und mit ihr leben, aufmerksam machen. Die Menschen prägten durch das Errichten von Bauwerken vorhandene Orte, aber auch die Wahrnehmung der gebauten Lebensräume beeinflusse den positiven oder negativen Blick auf die Welt: Die Umgebung wirke unbewusst auf die Stimmung der Menschen, präge sie durch ein identitätsstiftendes Stadt- oder Ortsbild und öffentliche Räume, in denen sich Menschen gern (oder nicht gern) aufhalten. Baukultur habe also eine unmittelbare, positive Auswirkung auf die Lebensqualität. Schon in der Kindheit würden wichtige Gestaltungs- und Wahrnehmungsfähigkeiten entwickelt. Deshalb spielten Bildung und der Bereich Schule bei baukultureller Bildung eine wichtige Rolle.

Allerdings finde Architektur, Design, Handwerk und Ingenieurbaukunst noch zu selten Eingang in die Bildungspraxis an Schulen in Deutschland. Bisher tauche baukulturelle Bildung an der Schnittstelle zur kulturellen Bildung und zur Bildung für nachhaltige Entwicklung nur am Rande auf. Die gesellschaftliche Bedeutung von Baukultur werde im Bereich Bildung somit noch unterschätzt. Hier bestehe dringender Handlungsbedarf: Baukultur müsse mehr Wirksamkeit verschafft werden.

Die Bundesstiftung Baukultur setzt sich dafür ein, die baukulturelle Bildung als eigenständiges Handlungsfeld in der Praxis zu etablieren.

In der Publikation findet sich eine Zusammenstellung relevanter Basisinformationen zu baukultureller Bildung. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf den praxisbezogenen Teilen: Im Fokus stehen vielfältige Projekte und Initiativen, die im schulischen Alltag und in außerunterrichtlichen Bereichen umgesetzt werden. Zu den 17 Beispielen baukultureller Bildungspraxis aus Deutschland zählen die Bildungsinitiativen der Architektenkammern genauso wie einzelne Institutionen, die eigene Projekte zur Baukultur entwickelt haben. Der Band fasst wichtige Erkenntnisse und gesammelte Erfahrungen zur bisherigen Praxis zusammen. Aus dieser Bestandsaufnahme werden am Schluss Handlungsempfehlungen abgeleitet, um die baukulturelle Bildung als wichtige Grundlage für die Um- und Mitgestaltung der Umwelt zukünftig besser in der Fläche zu verankern.

Auch wenn sich die Bildungssysteme der Bundesländer hinsichtlich ihrer Strukturen und Voraussetzungen erheblich unterscheiden, können die aufgeführten Beispiele aus Sicht der Bundesstiftung Baukultur als übertragbare und praxisnahe Inspirationsquelle gelten. Ergänzend werden in kompakter Form acht Impulse beschrieben, durch die sich Projekte in der baukulturellen Bildung beginnen lassen. Sie sollen als Anstoß dienen, um das pädagogisch wirksame Handeln in der baukulturellen Bildung weiterzuentwickeln.

Die Autor*innen sind der Auffassung, dass das Ziel einer besseren baukulturellen Bildung nur durch eine gemeinsame Anstrengung von Pädagog*innen, Eltern, Berufsverbänden, Handwerk und einzelnen Bürger*innen zu erreichen ist. Es wäre notwendig, die Bedürfnisse der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, ihre Umwelt gestaltend mitzuprägen, in den Mittelpunkt zu stellen und sie zum Mitmachen aufzufordern.

Wichtige Ergebnisse

Wichtige Ergebnisse

Definition Baukultur: „In einem ganzheitlichen Verständnis umfasst Baukultur im Kern jede menschliche Tätigkeit, die nicht nur die gebaute Umwelt gestaltet, sondern auch der Förderung des sozialen Zusammenhalts, der ökologischen Nachhaltigkeit sowie der Gesundheit und des Wohlergehens aller verpflichtet ist.“ (Bundesstiftung Baukultur)

Festgestellt wird, dass baukulturelle Bildung eine gesamtgesellschaftliche Basisaufgabe ist. Diese sei genauso wichtig wie das behütete Heranwachsen von Kindern und Jugendlichen in städtischen und ländlichen Räumen. Wichtige Zukunftsfragen der Baukultur lauten:

  • Wie sollen öffentliche Räume, Mobilitäts- und Infrastrukturkonzepte im digitalen Zeitalter, Schulen mit zeitgemäßen Lernformen oder Betreuungsangebote in der Zukunft aussehen, sodass alle Generationen selbstbestimmt leben können?
  • Wo können sich die Bürgerinnen und Bürger bei der Gestaltung ihres Lebensumfelds aktiv einbringen, wenn Städte wachsen und Dörfer schrumpfen?
  • Wie kann das wertvolle baukulturelle Erbe erhalten bleiben?
  • Wie wollen wir leben?

Diesen wichtigen Fragen und den Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge werden sich auch die kommenden Generationen stellen müssen. Daher sei es von Bedeutung, Kinder und Jugendliche im Rahmen baukultureller Bildung früh einzubeziehen.

Fünf Handlungsempfehlungen

Die Autorinnen und Autoren stellen fest, dass baukulturelle Bildung das Bewusstsein für Baukultur bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen fördern kann. Dies sei für die Planung und die Umsetzung, den Erhalt sowie für das Verständnis der natürlichen und gebauten Umwelt unverzichtbar. Um die Neugier für Themen der Baukultur bei allen zu wecken und langfristig zu unterstützen, seien Sensibilisierung und Information vor allem bei jüngeren Bevölkerungsgruppen nötig. Wenn baukulturelle Bildung bereits zu einem frühen Zeitpunkt im Leben beginne, gebe es in der Folge viele Anknüpfungspunkte und Handlungsoptionen. Damit leiste Bildung langfristig einen Beitrag zur Baukultur.

Abgeleitet aus bisherigen Erkenntnissen und Praxiserfahrungen in Projekten gibt die Bundesstiftung Baukultur fünf Handlungsempfehlungen. 

1. Baukulturelle Bildung auf ein stabiles Fundament stellen

Baukultur sollte im Bildungswesen stärker verankert werden. Projekte und Initiativen mit vielfältigen Ansätzen sollten in diesem Handlungsfeld auf Basis professionellen pädagogischen und baukulturellen Wissens ausgebaut werden, um einen bestmöglichen Wissenstransfer zu ermöglichen.

  • Die Kernthemen der Baukultur sollten fächerübergreifend in den Schulunterricht integriert werden. Möglichkeiten bestünden im unterrichtlichen Bereich durch die Öffnung der Lehrpläne. Auf der Ebene konkreter Unterrichtsgestaltung könnten Lehrkräfte inhaltliche Schwerpunkte auf Baukultur setzen. Das betreffe das bauliche, archäologische und künstlerische Kulturerbe genauso wie zeitgenössisches Bauen.
  • Berufsständische Kammern und Verbände im Feld der Baukultur sollten Aufgaben baukultureller Bildung übernehmen und ihr bisheriges Engagement weiter ausbauen. Die föderalen Strukturen böten Möglichkeiten zur Kooperation mit den jeweiligen Kultusministerien, Kommunen oder auch mit schulischen Vertretern. Das Angebot könne von Projektwochen über Exkursionstage bis hin zu Schülerinnen und Schüler- bzw. Studienreisen reichen.
  • Baukultur sei eine öffentliche Aufgabe. Es bedürfe daher des Zusammenwirkens von Staat und privaten Eigentümern, von Wirtschaft, Bürgerinnen und Bürgern und Öffentlichkeit. Um diesem gesellschaftlichen Auftrag gerecht zu werden, müssten durch Nachwuchsbildung die vielfältigen Berufsdisziplinen gestärkt werden – in Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung. Das umfasse Maßnahmen in Planung, Ausführung, Wissenschaft und Verwaltung.

2. Praktiker*innen baukultureller Bildung qualifizieren

Baukulturelle Bildung brauche eine entsprechende Expertise mit inter- und transdisziplinären Akzenten, aber auch einer klaren Kernkompetenz. Diese Kernkompetenz sollte über das Pädagogische, Technische und Ästhetische hinausgehen.

  • Baukulturelle Bildung sollte bundesweit, fachübergreifend und verpflichtend in das Lehramtsstudium übernommen werden. Möglichkeiten könnten Pflichtseminare für angehende Grund-, Sekundar- oder Berufsschullehrkräfte sein.
  • Vertiefende Fort- und Weiterbildungen seien ein wichtiger Bestandteil der Qualitätssicherung im professionellen pädagogischen Handeln. Sie könnten angesichts steigender Anforderungen in der Gestaltung von Lehr-Lern-Situationen zur Orientierung beitragen. Deshalb sollten sie in der baukulturellen Bildung ausgebaut werden.
  • Die Förderung von Fortbildungsveranstaltungen für multiprofessionelle Zielgruppen sollte sowohl für pädagogische Fach- und Lehrkräfte als auch für Planende und Bauschaffende bundesweit erfolgen. Die baukulturelle Bildung brauche qualifizierte Baukulturvermittlerinnen und -vermittler.

3. Baukulturelle Bildung durch die öffentliche Hand stärken

Es existierten bereits unterschiedliche Unterstützungsmöglichkeiten für Anbieter baukultureller Bildung, jedoch werde dem weitreichenden Engagement damit finanziell nur teilweise entsprochen.

  • Indem die baukulturelle Bildung auf Bundesebene im Rahmen kultureller Bildung finanzielle Förderung erhält, könnten die vielen wirksamen Angebote eine dauerhafte Perspektive bekommen.
  • Die öffentliche Förderung sollte strukturiert ausgebaut werden. Private Bildungsanbieter sollten bei der Förderung berücksichtigt werden.
  • In die Finanzierung sollten Baukulturzentren, die sich mit öffentlichen Räumen oder Gebäuden wie Museen oder Bibliotheken verbinden lassen, in jedem Bundesland einbezogen werden.

4. Baukultur partizipativ mit Kindern und Jugendlichen gestalten

Damit Baukultur auch aus Sicht der Kinder und Jugendlichen stimmig ist, sollte die Partizipation systematisch gestärkt werden. Neu- und Umbauten aus der Perspektive kommender Generationen zu betrachten, stärke das Engagement junger Menschen. Das trage zur Verbesserung bedarfsgerechter, baukultureller Nutzungsvielfalt bei.

  • Die Praxis der Partizipation sollte ausgebaut werden. Die Bildung von Projektteams mit kompetenten Partner*innen ermögliche eine integrierte Planung, in der die Belange vieler Ressorts eingebunden werden. Transparente Prozesse könnten gesellschaftliche Akzeptanz und langfristige Reputation schaffen. Nur so könnten Neu- und Umbaumaßnahmen entstehen, die nicht nur eng gefasste funktionale Kriterien erfüllen, sondern einen gestalterischen Mehrwert für die Nutzer*innen und die gebaute Umwelt darstellen.
  • Die verpflichtende Berücksichtigung partizipativer Verfahren in Verwaltungsprozessen gelte es noch stärker zu systematisieren. Hierzu sollte die prozessbegleitende Koordination als Weiterbildungsangebot in Kooperation mit Kammern, Ländern und Kommunen verstärkt werden. Unverzichtbar seien dafür  genügend finanzielle und personelle Ressourcen. Diese würden nicht nur einen Beitrag zur baukulturellen Bildung von Kindern und Jugendlichen, sondern langfristig auch für die Disziplinen des Planens und Bauens leisten.
  • Trotz einer zunehmenden Beteiligung am Planen und Bauen gebe es in Deutschland noch zu wenige Bildungsformate zu Partizipationsverfahren. Vorstellbar wäre die Implementierung von Weiterbildungsangeboten als spezifischer Teil der Architekturvermittlung.

5. Baukulturelle Bildung bundesweit ausbauen

Baukulturelle Bildung brauche eine größere Würdigung und Wertschätzung – ebenso wie das damit verbundene Engagement für Bildung, Erziehung und Begleitung. Hierfür sei eine stärkere Kooperation aller Akteure der baukulturellen Bildung erforderlich. Vorrangiges Ziel sei es, ein breites Angebotsspektrum, insbesondere selbsttätig-kreativer Formate aufzubauen und baukulturelle Bildung zukünftig noch besser in der Gesellschaft zu verankern.

  • Die Bundesstiftung Baukultur werde ihr bisheriges kostenloses Online-Informationsangebot erweitern und dieses zentrale Unterstützungsinstrument ausbauen. Bisher umfasst es neben dem Netzwerk aus Akteuren und Praxispartner*innen auch Kurzbeschreibungen von Projekten, Literaturhinweise und Arbeitsmaterialien für pädagogische Fach- und Lehrkräfte.
  • Durch den Ausbau der existierenden Online-Plattform, Netzwerkkoordination und die Organisation bundesweiter Veranstaltungen soll die Kooperation aller Akteur*innen der baukulturellen Bildung gefördert werden. Durch Netzwerktreffen könnten gemeinsame Vorgehen inhaltlich und bundesweit auf den Weg gebracht werden.
  • Baukulturelle Bildung sollte auf Bundes- und Länderebene in Form einer Selbstverpflichtung in baukulturelle Leitlinien aufgenommen werden. Dies schaffe Grundlagen und Ressourcen, um auf die jeweiligen lokalen Besonderheiten und Identitäten einzugehen.