Studie

Ausbildungsperspektiven in Zeiten von Corona

Thema

Einstellungen junger Menschen zu ihrer beruflichen Ausbildung

Autoren/Autorinnen

Ingo Barlovic/Denise Ullrich/Clemens Wieland

Erscheinungsort

Gütersloh

Erscheinungsjahr

2020

Stiftungsengagement

Bertelsmann Stiftung

Literaturangabe

Ingo Barlovic/Denise Ullrich/Clemens Wieland: Ausbildungsperspektiven in Zeiten von Corona. Eine repräsentative Befragung von Jugendlichen. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung 2020.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass die Auswirkungen des Corona-Virus zwar alle Menschen betreffen, ganz besonders aber junge Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen, da die Pandemie starke Folgen für den Ausbildungsmarkt hat.

Was bewirkt Corona auf der Angebotsseite (Unternehmen) und auf der Nachfrageseite (Jugendliche)? Über die Sicht der Unternehmen und zur Entwicklung des betrieblichen Ausbildungsangebots in Zeiten der Coronakrise gibt es inzwischen diverse Umfragen, Statistiken und Prognosen. Auch gibt es staatliche Unterstützungsmöglichkeiten für Betriebe, die trotz schwieriger Umstände Ausbildungsangebote machen.

Die Studie will die Nachfrageseite auf dem Ausbildungsmarkt beleuchten, über die bisher wenig bekannt ist:

  • Wie geht es jungen Menschen im Hinblick auf ihre berufliche Zukunft und welche Einschätzungen haben sie?

Das Meinungsforschungsinstitut iconkids & youth hat im Auftrag der Bertelsmann Stiftung eine repräsentative Untersuchung bei Jugendlichen durchgeführt. Befragt wurden 1.700 repräsentativ ausgewählte 14- bis 20-Jährige: 1.550 mittels Online-Befragung, ergänzt um Face-to-Face-Interviews bei 150 Hauptschüler*innen. Die Daten wurden nach dem Schulbesuch und -abschluss gewichtet. Dabei wurde Schulbildung unterteilt in „niedrig“, „mittel“ und „hoch“ – basierend auf dem Schulbesuch 2019/2020. Falls der Schulbesuch keine eindeutige Zuordnung zuließ, weil der/die Jugendliche beispielsweise Gesamtschüler*in ist, wurde zusätzlich der (angestrebte) Schulabschluss berücksichtigt. Die Interviews wurden vom 7. bis 27. Juli 2020 mit einem standardisierten Fragebogen durchgeführt.

Ziel der Befragung war es, ein Stimmungsbild der jungen Menschen kurz vor Beginn des Ausbildungsjahres zu eruieren. Die Zielgruppe der jungen Menschen war sehr heterogen: sie umfasste Schüler*innen der unterschiedlichen Schulformen, Azubis, Teilnehmer*innen von Übergangsmaßnahmen, Studierende, Praktikant*innen etc., die sich in unterschiedlichen Stationen und auf unterschiedlichen Wegen im Übergangsprozess zu einer Ausbildung befinden.

Wichtige Ergebnisse

Ausgewählte Ergebnisse der Befragung

1. Grundsatzfrage: Ausbildung oder Studium?

  • Hohe Attraktivität der Ausbildung:

Eine berufliche Ausbildung – dual oder vollzeitschulisch – ist für junge Menschen in Deutschland sehr attraktiv: 43 Prozent aller befragten Schüler*innen sagten, sie hätten fest vor, eine Ausbildung zu machen. Weitere 35 Prozent hatten sich noch nicht entschieden. Nur 22 Prozent meinten, sie seien sich sicher, dass sie keine Ausbildung machen werden und beispielsweise direkt nach der Schule studieren möchten. Damit scheint für knapp vier Fünftel aller Schüler*innen eine Ausbildung zumindest eine Option zu sein, über die sie ernsthaft nachdenken.

  • Unterschiede in Abhängigkeit zur Schulbildung:

73 Prozent der Schüler*innen mit einer niedrigen und 58 Prozent mit einer mittleren Schulbildung gaben an, eine Ausbildung machen zu wollen, weitere 18 Prozent bzw. 32 Prozent hatten sich noch nicht entschieden. Damit haben 91 Prozent der Befragten mit niedriger oder mittlerer Schulbildung diesen Bildungsweg mindestens in Erwägung gezogen. 22 Prozent der Schüler*innen mit hoher Schulbildung artikulierten ein großes Interesse, eine Ausbildung zu absolvieren und weitere 43 Prozent waren noch unentschlossen. Demnach waren zwei Drittel (65 Prozent) derjenigen, die ein (Fach-)Abitur anstreben, ebenfalls potenziell an einer Ausbildung interessiert.

  • Ausbildung als Zwischenschritt:

Es kann angenommen werden, dass ein Teil der Schüler*innen mit höherer Schulbildung die Ausbildung als eine Art Zwischenstation zwischen Schule und Studium sieht, da 62 Prozent von ihnen sagen, sie wollten nach der Schule ein Studium absolvieren.

  • Verschlechterung der Ausbildungschancen durch Corona:

Junge Menschen haben offenbar mehrheitlich den Eindruck, dass sich die Chancen auf einen Ausbildungsplatz durch Corona verschlechtert haben: 61 Prozent aller befragten Jugendlichen stimmten der Aussage zu, dass die Chancen auf einen Ausbildungsplatz ganz allgemein in Corona-Zeiten „eher schlechter“ sind. Vor allem junge Menschen mit einem niedrigeren Bildungsabschluss schätzten die Chancen auf einen Ausbildungsplatz eher schlechter ein.

  • Annahme besserer Studienchancen:

Deutlich besser nahmen die jungen Menschen die Studienchancen wahr. Nur 23 Prozent der Befragten rechneten damit, dass sich die Aussichten darauf verschlechtern werden. Die Autor*innen der Studie deuten das als Hinweis darauf, dass sich bei der Entscheidung „Ausbildung oder Studium?“ die Entwicklung zugunsten des Studiums verschiebt, wenn den Jugendlichen nicht die Sicherheit gegeben wird, dass sie trotz Corona gute Aussichten auf einen Ausbildungsplatz haben.

  • Hoher Stellenwert der Berufsausbildung in Krisenzeiten:

59 Prozent aller befragten 14- bis 20-Jährigen gaben an, wegen Corona sei die Suche nach einem passenden Ausbildungs- oder Praktikumsplatz schwieriger geworden. Eine deutliche Mehrheit der jungen Menschen (63 Prozent) – und dabei vor allem die Jugendlichen mit niedriger Schulbildung – artikulierte aber die Meinung, dass Krisenzeiten mit einer Berufsausbildung besser überstanden werden können als ohne. Nur 35 Prozent meinten, der Studienabschluss sei ein Allheilmittel gegen Krisen – unabhängig von der Schulbildung.

  • Mangelndes Engagement der Politik für die Ausbildung:

Die Antworten der jungen Menschen weisen darauf hin, dass sie sich im Stich gelassen fühlen: Die Hälfte (50 Prozent) von ihnen fand, dass die Politik wenig bis gar nichts für Ausbildungsplatzsuchende tut. Weitere 30 Prozent meinten, dass viel getan wird, empfinden das aber als nicht genug. Gerade einmal 8 Prozent sagten, dass die Politik sehr viel für junge Menschen im Bereich Ausbildung tut.

  • Höheres Engagement der Politik für Studienplatzsuchende:

Etwas besser schätzten die jungen Menschen das Engagement der Politik für Studienplatzsuchende ein. Hier fanden 10 Prozent, dass die Politik sehr viel macht, und 40 Prozent waren der Ansicht, dass eher wenig oder gar nichts getan wird.

  • Unveränderte Attraktivität der Ausbildung in der Corona-Pandemie:

Ist eine Ausbildung für Jugendliche auf dem Weg zum (Fach-)Abitur oder mit (Fach-)Abitur attraktiver geworden, zum Beispiel durch die Diskussion um „systemrelevante Berufe“? Die Mehrheit vertrat nicht die Ansicht, dass sich die Attraktivitätswaage aufgrund von Corona in Richtung Ausbildung oder Studium verschoben hat.

  • Eindruck fehlender Ausbildungsplätze:

In Bezug auf die Verfügbarkeit von Ausbildungsplätzen waren die Einschätzungen weitaus kritischer. Rund ein Drittel der Befragten nahm an, dass es zu wenige Ausbildungsplätze gibt; besonders junge Menschen mit niedriger Schulbildung (44 Prozent). Nur knapp die Hälfte der Befragten hatte den Eindruck, dass es ausreichend Ausbildungsplätze gibt, und lediglich 7 Prozent waren der Ansicht, dass eher zu viele Ausbildungsplätze vorhanden sind. Die Wahrnehmung der jungen Menschen steht somit im Widerspruch zu der häufig transportierten Meldung in den Medien, dass eine Vielzahl von Ausbildungsplätzen unbesetzt bleibt.  

Stimmungsbilder zur Ausbildungsplatzsuche

  • Bewerbungsgespräche als Hürde:

Bei 46 Prozent der Jugendlichen wurden ein Bewerbungsgespräch oder mehrere Bewerbungsgespräche abgesagt.

  • Wunsch nach stärkerer Unterstützung bei der Ausbildungsplatzsuche:

Fast 40 Prozent der Jugendlichen sagten, sie wünschten sich mehr Unterstützung bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz oder hätten sich diese gewünscht. Der höchste Wert bei dem Wunsch nach mehr Unterstützung (42 Prozent) war bei Jugendlichen mit hoher Schulbildung zu finden, wohingegen der höchste Zufriedenheitswert bei Jugendlichen („die Unterstützung war/ist ausreichend“) mit niedriger Schulbildung (48 Prozent) auftrat. Hauptschulen bieten offenkundig deutlich mehr Unterstützung an als Gymnasien.

  • Eingeschränkte Berufsinformationsmöglichkeiten durch die Corona-Pandemie:

Die negativen Folgen der Corona-Pandemie konnten auch beim Thema Berufsinformationsmöglichkeiten abgelesen werden: „Analoge“ Informationsveranstaltungen beispielsweise in Betrieben, Schulen und den Arbeitsagenturen sowie Messen waren wegen des Lockdowns und der Abstandsregelungen deutlich weniger geworden. Auch wurden angesichts von Kurzarbeit weniger Praktikumsplätze angeboten. Fast die Hälfte (46 Prozent) der Befragten berichtete jedoch, dass es auch kaum Formen des direkten Informationsaustausches gebe, etwas mehr als die Hälfte (51 Prozent) konstatierte beispielsweise stark eingeschränkte Angebote zu Bewerbungstraining.

  • Gewünschter Ausbildungsplatz:

62 Prozent der Befragten mit höherer Schulbildung hielten es für sicher oder sehr wahrscheinlich, dass sie einen Ausbildungsplatz bekommen, der „ihren Vorstellungen und Erwartungen“ entspricht. Bei den Schüler*innen mit mittlerer Bildung waren dies immerhin auch noch 56 Prozent, bei denen mit niedriger Bildung dagegen nur noch 47 Prozent.

  • „Plan B“ zum Ausbildungsplatz?

Bei erfolgloser Suche nach einem Ausbildungsplatz planten nur 13 Prozent, alternativ einen höheren Schulabschluss anzustreben, fast die Hälfte würde sich ungelernt nach einem Job umschauen (46 Prozent).

3. Befinden der (angehenden) Azubis

  • Hohe Zufriedenheit mit dem Ausbildungsplatz:

82 Prozent der (angehenden) Azubis zeigten sich mit ihrem Ausbildungsplatz zufrieden.

  • Mehrheit lernt im Wunschberuf:

Ein großer Teil der Zufriedenheit kann nach Ansicht der Studienverantwortlichen dadurch erklärt werden, dass 60 Prozent eine Ausbildung im Wunschberuf absolvierten, bei Jugendlichen mit niedriger Schulbildung waren es sogar 72 Prozent. Auch wenn es mit dem Wunschberuf nicht geklappt hat, ist dennoch die Motivation groß, die Ausbildung durchzuziehen: 34 Prozent fanden ihren Ausbildungsplatz in Ordnung und wollten auch bis zum Ende durchhalten. Ausbildungswechsler*innen waren mit nur 6 Prozent die klare Minderheit. Stärker ausgeprägt war diese Haltung des Wechsels bei jungen Menschen mit hoher Schulbildung (12 Prozent) im Vergleich zu jenen mit niedriger Schulbildung (2 Prozent).

  • Sorge um Ausbildungsplatz:

Auch eine Ausbildungsplatzzusage oder ein bereits angetretener Ausbildungsplatz unterstützte aber nach den Ergebnissen der Befragung nicht das Gefühl der Sicherheit: Fast jede*r fünfte Jugendliche sorgte sich, die Ausbildung nicht abschließen zu können, und knapp jede*r Dritte befürchtete, nach der Ausbildung nicht vom Betrieb übernommen zu werden. Mehrheitlich sorgenfrei waren nur diejenigen mit hoher Schulbildung (72 Prozent).

4. Übergang von der Bildungs- in die Arbeitswelt

  • Zufriedenheit wichtiger als Sicherheit:

Trotz der aktuell schwierigen Situation suchte die Mehrheit aller befragten Jugendlichen (64 Prozent) nach einem Job, der ihnen wirklich Spaß macht. Die Jobsicherheit wurde offenbar auch nicht durch Corona zur obersten Priorität bei jungen Menschen.

  • Zuversicht, einen passenden Arbeitsplatz zu finden:

Eine ähnlich positive Tendenz zeigte sich bei der Frage danach, ob die Jugendlichen glauben, nach Abschluss der Ausbildung oder des Studiums einen passenden Arbeitsplatz zu bekommen. Die Mehrheit zeigte sich hier relativ optimistisch: 60 Prozent hielten es für ganz oder ziemlich sicher, nach ihrer Ausbildung oder ihrem Studium einen passenden Arbeitsplatz zu finden. Das traf in verstärktem Maße auf Jugendliche mit hoher Schulbildung (65 Prozent) zu, aber auch bei denjenigen mit niedriger Schulbildung waren es noch fast die Hälfte (48 Prozent).

5. Stimmungsbilder zur persönlichem Zukunft

Wie sieht die ganz persönliche Situation im Lichte von Corona aus? Zeigt sich das häufige Umfragephänomen, dass eine allgemeine Lage schlechter bewertet wird als die persönliche?

  • Optimismus und Pessimusmus:

Auf den ersten Blick schien Corona bei der Gesamtzahl der Befragten kaum einen Einfluss auf die persönliche Zukunft zu haben, was Schule, Ausbildung oder Beruf angeht: 63 Prozent  gaben an, sie hätten vor der Corona-Pandemie optimistisch in die persönliche Zukunft geschaut und immerhin 61 Prozent sagten das auch noch zu Zeitpunkt der Befragung (ein Rückgang von nur 2 Prozentpunkten).

  • Verunsicherung junger Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen:

Der Einfluss der Pandemie wird jedoch deutlich, wenn man die Angaben der Untergruppen genauer betrachtet. Während die Jugendlichen mit mittlerer oder hoher Schulbildung mehrheitlich unverändert optimistisch in die Zukunft schauten, zeigte sich bei den Jugendlichen mit niedriger Schulbildung ein deutlicher Stimmungsabschwung: Waren vor Corona die Optimist*innen unter ihnen in der Mehrheit (57 Prozent Optimist*innen standen 44 Prozent Skeptiker*innen und Pessimist*innen gegenüber), hat sich dieses Verhältnis im Juli 2020 umgekehrt. Nun waren 56 Prozent der Jugendlichen mit niedriger Bildung verunsichert und nur noch 44 Prozent waren positiv eingestellt, wenn sie an ihre persönliche, schulische oder berufliche Zukunft denken. Fast ein Viertel der früheren Optimist*innen waren zu Skeptiker*innen geworden. Die durch den Covid-19 ausgelöste Wirtschaftskrise scheint damit vor allem junge Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen zu verunsichern.

  • Kippendes Stimmungsbarometer:

Zusätzlich hat sich die Einstellung der Jugendlichen, die auf Ausbildungsplatzsuche oder in Ausbildung sind, verschlechtert: 56 Prozent der Jugendlichen auf Suche nach einem Ausbildungsplatz gaben bei der Befragung an, sie hätten vor Corona positiv in die Zukunft geschaut: Im Juli 2020 waren es nur noch 46 Prozent (Rückgang von 10 Prozentpunkten bzw. 18 Prozent). Ein Fünftel dieser Jugendlichen hatte also den eigenen Optimismus verloren. Noch extremer hat Corona offenbar die persönliche Einschätzung der Jugendlichen beeinflusst, die aktuell in Ausbildung sind: Aus 68 Prozent Optimist*innen vor Corona waren im Juli 2020 50 Prozent geworden, was ein Viertel weniger bedeutet. Dagegen zeigte sich dieser negative Stimmungsumschwung nicht bei Jugendlichen, die bereits einen Studien- oder Ausbildungsplatz sicher hatten bzw. eine Maßnahme beginnen wollten.

  • Geplatzte Pläne und Betroffenheit im Umfeld:

Bei einem Drittel der Befragten hat Corona die Pläne in (beruflicher) Richtung platzen lassen, zum Beispiel weil der Ausbildungsvertrag aufgelöst wurde oder der geplante Auslandsaufenthalt nicht zustande kam. Zusätzlich erlebten viele Jugendlichen die Folgen von Corona hautnah in ihrem persönlichen Umfeld: 53 Prozent, also über die Hälfte, gab an, dass wegen der Corona-Pandemie Freund*innen, Verwandte oder Bekannte beruflich in Schwierigkeiten wie zum Beispiel Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit geraten sind. Betroffene im eigenen Umfeld hatten insbesondere die Jugendlichen mit niedriger Schulbildung. Dies könnte ein Grund sein, warum gerade sie sich um ihre schulische und berufliche Zukunft sorgten.

Schlussfolgerungen

Die Bertelsmann Stiftung zieht aus den Ergebnissen der Befragung das Fazit, dass die Ausbildung gestärkt und Zukunftsperspektiven aufgezeigt werden müssen, indem eine Ausbildungsgarantie eingeführt wird. Nur dann wäre es möglich, jungen Menschen in Krisenzeiten Sicherheit zu geben und im Bedarfsfall fehlende Ausbildungsplätze zu kompensieren.