Ankommen im neuen Zuhause
- Handlungsfeld
- Bildungssystem
- Diversität
Thema
Integration von Geflüchteten in Kommunen
Herausgeberschaft
Bertelsmann Stiftung
Erscheinungsort
Gütersloh
Erscheinungsjahr
2019
Stiftungsengagement
Bertelsmann Stiftung
Literaturangabe
Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Ankommen im neuen Zuhause. Flüchtlingsintegration als Chance für weltoffene Kommunen. Gütersloh 2019.
Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise
Ausgangspunkt ist die Frage, wie es Kommunen gelingen kann, Geflüchtete in Bildung, Arbeit und Gesellschaft zu integrieren: Wie können Geflüchtete mit der Arbeitswelt sowie mit Bildung, Ausbildung und Weiterqualifizierung in Deutschland vertraut gemacht werden? Wie kann das Zusammenleben zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Neuankömmlingen gestaltet werden?
Die Bertelsmann Stiftung geht davon aus, dass es für die Integration von Geflüchteten die gesamte kommunale Gemeinschaft braucht: Hauptamtliche und Ehrenamtliche, Stadtverwaltung und Wohlfahrtsverbände, Institutionen, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Dabei sei es wichtig, dass die verschiedenen Akteure und Einrichtungen nicht aneinander vorbeiarbeiten und die wirklichen Bedarfe der Geflüchteten verkannt werden. Deshalb sei es eine wesentliche Aufgabe, die Integrationsangebote aufeinander abzustimmen oder sogar aus einer Hand anzubieten.
Als vorrangige Handlungsfelder wurden folgende Themen identifiziert:
1. Integration in Arbeit und Ausbildung,
2. Sprache und Bildung,
3. Dialog und Beteiligung,
4. Wohnen und Unterbringung.
Die Bertelsmann Stiftung wollte im Jahr 2016 Kommunen bei der Integration von Geflüchteten durch externe Prozessbegleitung unterstützen. Im Projekt „Ankommen in Deutschland – Integration von Geflüchteten vor Ort“ sollte ein ganzheitlicher Ansatz umgesetzt werden, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht – entscheidend sollten die Geflüchteten und ihre Bedarfe sein.
In einem ersten Schritt wurde vor Ort mit den für Flüchtlingsintegration zuständigen Akteursgruppen die Ziele der Integration festgelegt und ein Fahrplan erarbeitet. Dabei zeigte sich, dass die Ausgangslage der Kommunen sehr unterschiedlich war – abhängig von der Anzahl der Geflüchteten, deren Herkunfts- und Altersstruktur, von integrationspolitischen Erfahrungen der Kommune sowie nach ihrer Größe und Altersstruktur. Deshalb wurde ein bedarfsorientiertes Vorgehen gewählt und ein sogenannter Modulkoffer bereitgestellt, der es jeder Kommune ermöglichte, all jene Prozessmodule zu nutzen und zu kombinieren, die in ihrer konkreten Situation sinnvoll erschien. Die teilnehmenden Kommunen erhielten von Bund und Ländern auch finanzielle Unterstützung sowie zusätzliche Ressourcen, wie zum Beispiel e Bildungskoordinatorinnen und -koordinatoren.
Die Bertelsmann Stiftung hat drei Jahre lang 23 Pilotkommunen begleitet, die eine akteursübergreifende Zusammenarbeit aufgebaut und konkrete Strategien sowie Konzepte für die Integration von Geflüchteten erarbeitet und umgesetzt haben. Die Lernerfahrungen und Good-Practice-Beispiele sowie Auszüge aus den Evaluationsberichten werden in der vorliegenden Publikation vorgestellt. In einer Teil-Evaluation (März 2017 bis Februar 2018) wurden die Wirkungen des Modellprojekts und der Prozessbegleitung aus Sicht der Projektverantwortlichen erhoben. Dafür wurden etwa zur Mitte der Projektphase teilstandardisierte Interviews mit Projektverantwortlichen vor Ort durchgeführt und ergänzend Telefoninterviews am Ende der Projektphase.
Die Publikation enthält auch Porträts der beteiligten Kommunen, die deutlich machen, mit welchen Hoffnungen, Schwierigkeiten, Bedarfen und Hilfen Geflüchtete in Deutschland leben und welche verschiedenen kommunalen Strategien bei der Integration umgesetzt werden. Darüber hinaus sind auch Evaluationsergebnisse und Empfehlungen zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten enthalten.
Die Erfahrungen der Kommunen, die Good-Practice-Beispiele sowie nützliche Tools und Links wurden auch in einem Online-Handbuch zusammengetragen, das kostenlos heruntergeladen werden kann:
Wichtige Ergebnisse
Wirkungen des Modellprojekts aus Sicht der kommunalen Projektverantwortlichen an neun Modellstandorten
1. Zielbestimmung vor Ort
In jeder Kommune gab es bereits Zielsetzungen, die mit den Zielen des Projekts „Ankommen in Deutschland“ verknüpft werden konnten. So wurde in jeder Kommune individuell definiert, welche konkreten Ziele erreicht werden sollen. Die Prozessbegleitung hatte die Aufgabe, die im Modellprojekt skizzierte Zielstruktur mit den vorhandenen Zieldefinitionen vor Ort zu synchronisieren. Da in einer Kommune die Pläne zur Aufgabenerfüllung durch Beschlüsse und in der Umsetzung durch den Haushalts- und Stellenplan unterlegt sind, war hier Zurückhaltung erforderlich.
In den meisten Kommunen wurden die Ziele zur Integration Geflüchteter im Kontext der Integration von Migrantinnen und Migranten insgesamt definiert. Für Geflüchtete wurde meist ein eigener Zuständigkeitskorridor entwickelt, der aber befristet angelegt war. Dabei wurde in den Kommunen überwiegend nicht von einem vorübergehenden Aufenthalt von Geflüchteten ausgegangen (mit Ausnahme der Geflüchteten in den großen Übergangseinrichtungen), sondern vom Ziel der Niederlassung und Einbindung der Geflüchteten in das Gemeinwesen.
Aus Sicht der Prozessbegleitungen ist die Integration der Projektstruktur in das jeweilige kommunale Zielraster gut gelungen. Dabei sei es wichtig gewesen, den Start des Projekts stadtintern gut zu kommunizieren und die Verantwortlichen in der Verwaltung frühzeitig einzubinden.
Die Entwicklung lokaler Netzwerke passte am besten in die Zielraster und sozialraumorientierten Planungen der Kommunen. Das Ziel „Stärkung der lokalen Netzwerke“ wurde in allen beteiligten Kommunen verfolgt und operativ ausgestaltet.
2. Einbindung der kommunalen Verwaltung
Für das Modellprojekt wurden Kommunen ausgewählt, die sich offen für Veränderungen zeigten und es auch begrüßten, durch Prozessbegleitung Rat von außen zu erhalten. In allen neun befragten Kommunen war die Zuständigkeit für Geflüchtete ressortübergreifend angelegt und es gab im Projektzeitraum Personalerweiterungen. Bei fünf Kommunen wurden auch Änderungen in der Organisationsstruktur vorgenommen. Sieben Kommunen verfügten über ein ressortübergreifendes Gremium, das das Zusammenwirken der verschiedenen Fachbereiche/Ämter und Abteilungen koordinieren hilft. Einige Gremien bestanden schon, andere wurden extra für den Aufgabenbereich „Geflüchtete“ gegründet. Diese Gremien hatten fast überall Entscheidungsfunktion – entweder eindeutig definiert oder faktisch. Ein wichtiges Ziel dieser Gremien war es, das Verwaltungshandeln zu beschleunigen.
In den meisten Fällen gab es vor Ort ein Konzept, um die verschiedenen Zuständigkeiten bei der Arbeit mit Geflüchteten bzw. Migrantinnen und Migranten in Einklang zu bringen. Hinzu kam in vielen Fällen noch ein Initiativkreis des Stiftungsprojekts, dessen Wirkungskraft insgesamt sehr hoch eingeschätzt wurde.
3. Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen
Bei einer nachhaltigen Integration von Geflüchteten stehen Themen wie zum Beispiel Bildung, langfristige Mietverträge, Förderung der Kinder und die Einbindung in das Gemeinwesen im Vordergrund. Dies erfordert einen verstärkten Einsatz der Hauptamtlichen, aber auch ein verlässliches dauerhaftes Engagement von Ehrenamtlichen. Die Kooperation von Ehrenamt, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und öffentlicher Verwaltung ist von entscheidender Bedeutung für das Gelingen des Projekts. Die Prozessbegleitung legte deshalb großen Wert auf die Kommunikation und Kooperation der Aktiven, Haupt- und Ehrenamtlichen. Dies ist aus Sicht der Prozessverantwortlichen sehr gut gelungen. Die Zusammenarbeit zwischen Rat/Kreistag, beteiligten Institutionen und ehrenamtlich Engagierten wurde überwiegend als sehr gut bewertet.
4. Konzept und Umsetzung
In den Kommunen ist die Palette zur Aufnahme und Integration von Geflüchteten breit und meist in Integrationskonzepte eingebunden, die für Bürgerinnen und Bürger bzw. Migrantinnen und Migranten insgesamt aufgestellt wurden, oft in stark partizipativ angelegten Prozessen. Nur wenige Konzepte wurden im Projektzeitraum neu erstellt.
Das Spektrum der Konzepte reicht von einer Kommune, die Leitbild, Integrationsplan und Strategiepapier als konzeptionelle Grundlage entwickelt hat, bis zu einer Kommune, die eine Verwaltungsleitlinie als Konzept nutzt. Deutlich wurde, dass eine differenzierte Konzeptstruktur nicht automatisch mit einem differenzierten Angebot einhergeht. Den meisten Kommunen wurde jedoch im Projektzeitraum bewusst, dass ein Integrationskonzept für den Integrationsprozess sehr hilfreich ist. Einige nahmen das Projekt zum Anlass, ein entsprechendes Konzept zu entwickeln. Wurde die Prozessbegleitung dabei einbezogen, werteten die Beteiligten das als sehr positiv.
Welche Angebote wurden im Projektzeitraum neu geschaffen? Bei den meisten Kommunen waren die Schwerpunkte relativ gleichmäßig verteilt: Arbeit und Ausbildung, Bildung und Sprache, Dialog und Beteiligung sowie Wohnen und Unterbringung. Die Mehrzahl der beteiligten Kommunen legte Wert auf die Verstetigung der Angebote für Dialog und Beteiligung, um die Aufnahme und Partizipation der Geflüchteten im Gemeinwesen zu fördern.
5. Partizipation im Projekt
In den meisten Kommunen wurden die Geflüchteten aktiv eingebunden, vor allem im kreativen Sektor der Angebote, Initiativen und Aktionen. In einigen Kommunen war das Prinzip der Partizipation Grundlage für alle Planungen und die Organisation von Maßnahmen, in anderen Kommunen waren es eher einzelne Initiativen, oft im ehrenamtlichen Bereich. Bei nahezu allen Aktionsformen und in allen Kommunen wurde Ehrenamtliche aktiv einbezogen, auch bei der Erstellung von Konzepten.
6. Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit
Die aktiven Haupt- und Ehrenamtlichen und die Öffentlichkeit waren offenbar gut über die Angebote und Maßnahmen zur Integration informiert, während sich das Bild bei den Geflüchteten anders darstellte: Sie fanden die Angebotsvielfalt wenig transparent. Aus mehreren Kommunen wurde berichtet, dass der Stellenwert schriftlicher Informationen für Geflüchtete auch dann gering ist, wenn sie in den jeweiligen Herkunftssprachen verfasst sind. Auch die Informationen im Internet und den sozialen Medien wirken nur eingeschränkt. Am besten scheint die Kommunikation per mündlicher Kommunikation von Person zu Person zu funktionieren, was jedoch sehr viel schwerer zu systematisieren ist als der Transport von Informationen über Medien.
Bei der Öffentlichkeitsarbeit der Kommunen zeigte sich, dass fast alle Kommunen inzwischen die sozialen Medien oder E-Mail-Verteiler nutzen und auf diesem Wege zuverlässig und aktuell einen großen Teil der Bürgerinnen und Bürger und der Ehrenamtlichen erreichen.
Hindernisse bei der Integration
Das Projekt führte in den Kommunen insgesamt zu einer engeren und besseren Kooperation der Akteurinnen und Akteure. Es wurden im Projektverlauf aber auch Hürden bei der Integration deutlich, zum Beispiel
- schwieriger Datenaustausch zwischen den Institutionen,
- Auswirkungen einer fehlenden Arbeitserlaubniserteilung für Geflüchtete,
- ein geringes Angebot an verwertbaren Qualifizierungsmöglichkeiten für Geflüchtete,
- Kopplung der Teilnahme an Integrationskursen an bestimmte Herkunftsländer (viele Geflüchtete konnten dadurch nicht daran teilnehmen),
- Abstimmungsprobleme zwischen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen im Rahmen ihrer Zusammenarbeit,
- Herausforderungen bei der Einbeziehung von Geflüchteten in das kommunale Leben.
Um die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, sei es wichtig, nicht über, sondern mit Geflüchteten zu sprechen, damit ihre wirklichen Bedarfe transparent werden. Das Engagement Ehrenamtlicher sei eine notwendige Ergänzung hauptamtlicher Arbeit (und umgekehrt). Die Ehrenamtlichen erwiesen sich in ihrer Lotsen-, Mentoren- oder Patenfunktion oft als einzige kontinuierliche Ansprechpersonen bei gleichzeitig wechselndem Personal, wenn Geflüchtete von Institution zu Institution geschickt wurden.
Insgesamt sei festzustellen, dass nicht nur die haupt- und ehrenamtlichen Akteurinnen und Akteure vor Ort und die Geflüchteten, sondern das gesamte deutsche System seit 2015 viel gelernt und einen bundesweiten Lern- und Change-Prozess vollzogen habe. Es gebe bereits zahlreiche Beispiele gelingender Integration Geflüchteter vor Ort. Insbesondere die Pilotkommunen des Modellprojekts seien in Bezug auf Migration inzwischen sehr gut aufgestellt.
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